Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
Vom Netzwerk:
angekommen.«
    »Ja. Aber ich habe nie dort gelebt. Nicht im eigentlichen Sinne. Habe ich dir schon erzählt, was Bailey immer gefragt hat? ›Was ist die eine Sache auf der Welt, die fast alles entwurzeln kann?‹ Und das war es, was er glaubte, erfinden zu müssen. Aber was er wirklich hätte erfinden sollen, war das Gegenteil davon. Das Gegenteil einer Teleportationsvorrichtung. Das hätten wir alle gebraucht. Etwas, das einen Menschen wirklich in seiner Umgebung verwurzeln könnte. Ihm ein bisschen von dem Gleitmittel abwischen.«
    »Ein bisschen In-der-Welt-Sein.«
    »Heidegger kommt mir nicht ins Haus. Mein Sinn für Zeit und Tod ist schon weit genug entwickelt, danke.«
    »Ich glaube, in einer von einer Mauer geteilten Stadt könnte man mit einer Teleportationsvorrichtung gute Geschäfte machen.« Rackenhams Blick fiel auf ein Buch, das neben einer Flasche Eau de Cologne auf Loesers Schreibtisch lag. »Du liest es noch einmal?«
    » Berlin Alexanderplatz? Noch einmal? Nein. Ich versuche seit dreißig Jahren, es zu lesen. Ich habe nur noch elf Seiten vor mir. Nächsten Herbst bin ich hoffentlich durch.«
    Rackenham stand auf. »Darf ich das Fenster aufmachen?«
    »Wenn du willst.«
    Also öffnete Rackenham das Fenster, nahm Berlin Alexanderplatz und warf das Buch hinaus. Es rutschte durch die Zweige abwärts wie eine müde Ringeltaube und nistete sich dann in einer Astgabel ein.
    »Was sollte das denn?«
    »Ich war mir plötzlich sicher, dass du tot umfällst, sobald du die letzte Seite gelesen hast. Wie in der chinesischen Han-Medizin.« Rackenham schloss das Fenster und setzte sich wieder. In Wahrheit mochte er Loeser nämlich, trotz allem. »Machst du jetzt bei dem Film mit oder nicht?«
    Aber Loeser ignorierte die Frage. »Eins musst du mir noch sagen.«
    »Was denn?«
    »Wie hast du das gemacht?«
    »Was?«
    »Wie hast du es geschafft, all diese Frauen zu ficken? Adele und die von Gorge und die anderen Millionen? Was war dein Geheimnis? Ich würde es noch immer gern wissen. Es nützt mir inzwischen nichts mehr, aber ich möchte es wissen.«
    »Loeser, wenn es da wirklich einen Trick gäbe, den ich in Worte fassen könnte, dann … na ja, dann würde ich ein Handbuch schreiben oder so. Und reich werden. Übrigens, mit Adele habe ich nie geschlafen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Nach dieser Party in der Nähmaschinenfabrik oder was immer das war. Wir sind zusammen weg, aber sie hat es sich anders überlegt.«
    »Im Ernst?«
    »Ja. Ich würde sie zu sehr an ihren Vater erinnern, hat sie gesagt.«
    »Mein Gott, wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich vielleicht nie diese krankhafte Besessenheit entwickelt! Ich wäre vielleicht nie nach Paris gegangen. Und nach Los Angeles auch nicht. Alles wäre anders gekommen.«
    »Ach, mach dich nicht lächerlich. Du bist aus Berlin weg, weil du Berlin schrecklich fandest. Du wärst sowieso weggegangen. Was ist aus ihr geworden?«
    »Aus Adele? Sie ist in Los Angeles geblieben. Hat Goatloft geheiratet, den Filmregisseur. Ist sehr glücklich, wie ich höre. Und Brogmann ist gerade zum Innenminister ernannt worden, und Marlene ist Filmkritikerin bei der Zeit geworden. Alle haben sich offenbar fein herausgemacht. Alle, die überlebt haben. Weißt du, im letzten Monat war ich auf dem Kurfürstendamm und hätte schwören können, ich sehe Drabsfarben mit einem Hund Gassi gehen. Er kann es natürlich nicht gewesen sein.«
    Rackenham holte eine Schachtel Sobranies aus der Tasche und bot Loeser eine an; der schüttelte den Kopf. »Ein bisschen Koks habe ich auch«, sagte Rackenham, als er sich seine Zigarette anzündete.
    »Wie bitte?«
    »Ich habe drei Gramm richtig gutes Koks von meinem Kameramann. Wenn du bei meinem Dokumentarfilm mitmachst, kannst du so viel haben, wie du willst, noch obendrauf. Wir können gleich was nehmen, wenn du willst.«
    »Ich habe seit dreißig Jahren nicht mehr gekokst«, sagte Loeser.
    »Dann wird es eine herrlich rührselige Wiederbegegnung. Komm, sprich mir nach: ›1938 saß ich im Cabaret und sah, wie ein SS -Mann mit bösem Gesicht seine Mieze schlug, weil sie ihren Champagner verschüttet hatte, und da wusste ich, die schönen Zeiten sind für immer vorbei.‹ Das machen wir morgen Nachmittag eine Stunde lang. Länger brauchen wir nicht.«
    Loeser antwortete nicht sofort, und die beiden Männer blickten einander eine Weile schweigend an. Draußen kam Wind auf, und Berlin Alexanderplatz fiel vom Baum.

11
    LOS ANGELES, 19310
    Der Gondoliere

Weitere Kostenlose Bücher