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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beauman Ned
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weil es nur eine ganz spezielle Ausnahme gab. Ungefähr vor einem Jahr hatte er einen Bummelzug nach Köln genommen, um seine Großtante zu besuchen, und auf die Reise bewusst nichts anderes zu lesen mitgenommen als Berlin Alexanderplatz , mit der Vorstellung, nach sechs Stunden wäre entweder er mit dem Buch fertig oder das Buch hätte ihn fertiggemacht. Schon nach dem ersten Bahnhof wandte er sich an den Mann neben sich im Waggon und sagte: »Ich gebe Ihnen 57Mark, also alles, was ich bei mir habe, für den Roman, den Sie lesen.«
    »Tut mir leid, ich spreche kein Deutsch«, sagte der Mann mit starkem amerikanischem Akzent.
    Loeser wiederholte das Angebot auf Englisch. (Er war zweisprachig aufgewachsen.)
    »Wollen Sie nicht wissen, was für ein Roman es ist?«
    »Handelt es sich vielleicht um Berlin Alexanderplatz ?«, fragte Loeser.
    »Nein.«
    »Dann ist es mir egal.«
    Das Buch hieß Erstickter Schrei und stammte von Stent Mutton. Es spielte in Los Angeles und handelte von einem kleinen Gauner, der in der Straßenbahn ein Hausmädchen kennenlernt, zum Liebhaber der jungen Frau wird und dann den Plan ausheckt, ein Baby zu entführen, damit das Hausmädchen es seiner unfruchtbaren Herrin verkaufen kann und sie Geld genug für ein neues Leben haben. Loeser hatte es in weniger als zwei Stunden durchgelesen, ein schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis, wenn er nicht so froh gewesen wäre, es vor der Ankunft in Köln noch ein zweites und drittes Mal lesen zu können und dann ein viertes Mal bei Kerzenlicht im Gästezimmer seiner Großtante. Der Erzähler hatte keinen Namen, keine Geschichte, keine Moral und keinen Sinn für Humor. Sein Wortschatz war nicht größer als der eines Wellensittichs, und doch rang er der fettfleckigen amerikanischen Umgangssprache eine seltsame Poesie ab. Alles und jeder auf der Welt schien ihm ziemlich lästig zu sein, und obwohl er nur selten versuchte, den Frauen auszuweichen, die sich ihm an den Hals warfen, war die einzige Leidenschaft, die ihn zur Erregung trieb, der Hass auf die Reichen und alle, die ihnen zu Diensten waren. Loeser fand das alles fesselnd, aber was ihn am meisten fesselte, war, dass Muttons Protagonist immer, immer, immer wusste, was zu tun war. Kein langes Fackeln, kein Zögern, keine Hemmungen. Wie gern Loeser dieser Mann sein wollte! Bald darauf hatte er sich vom Verlag Knopf in New York alle fünf übrigen Bücher Muttons schicken lassen, die nun in einem Versteck unter seinem Bett lagen, neben einem teuren Fotoalbum Pariser Ursprungs mit dem Titel Mitternacht in der Schwesternschule .
    Davon erzählte er Adele und Rackenham jedoch nichts. Er versuchte lieber, das Gespräch vorsichtig wieder auf seine beeindruckende Arbeit am Theater zu lenken. Aber bevor es ihm gelang, tauchte Achleitner auf. Loeser stellte Adele Achleitner vor. »Es wird mir ein Vergnügen sein, dir dabei zuzusehen, wie du dich mit diesem Mädchen zum Narren machst«: Das sagte Achleitner mit dem stillen Lächeln, das er Loeser zuwarf. Laut sagte er: »Brecht ist offenbar gerade eingetroffen.«
    Hinten am Eingang zur Fabrik hatte sich in der Tat ein kleines Grüppchen versammelt, das aus Brechts Nassauern bestehen mochte. Doch Brecht selbst konnte Loeser nirgends entdecken. Dafür aber Marlene, die auch eben eingetroffen sein musste. Ihr schickes Aussehen machte ihn mutlos. Sogar ein modisches Monokel trug sie. Adele stand derweil auf Zehenspitzen und versuchte, einen Blick auf den Dramatiker zu erhaschen.
    Ein monströser Gedanke schlug Loeser seine Fangzähne ins Hirn.
    Rasch rief er Achleitner zu, er solle Adele die Geschichte von Brogmann und den Rettungsschwimmern erzählen, er müsse etwas mit Rackenham besprechen. Dann nahm er Rackenham beiseite.
    »Ich weiß, wir sind uns eben erst begegnet«, sagte er, »aber ich muss Sie um einen Gefallen bitten. Brecht wird nach zwanzig Minuten wieder gehen. Das macht er immer. Könnten Sie Adele so lange irgendwie ablenken? Tanzen Sie mit ihr oder so. Machen Sie noch ein paar ›Fotos‹.«
    »Weshalb?«
    »Selbst einem Mann mit Ihren Neigungen wird gewiss nicht verborgen geblieben sein, dass Adele auf dieser Party das schönste Frauenzimmer ist. Und nicht nur das, sie ist auch noch Frischfleisch. Wenn Brecht sie sieht, wird er sich auf sie stürzen wie Ziesel auf einen Sarg voller Eiscreme. Und sie wird ihn kaum zurückweisen. Obwohl er sich nicht wäscht und sich nie die Zähne putzt.«
    »Warum lenken Sie sie nicht selbst ab?«
    »Meine Exfreundin

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