Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Mal war das Buch vielleicht nicht genug, um ihm Befriedigung zu verschaffen. Er konnte sein Glück versuchen und eine andere Partybesucherin flachlegen. Aber er verfügte nicht über das spirituelle Stehvermögen, sich ein neues Ziel zu suchen und mit der Verführung wieder bei null anzufangen, wo er sich seines Scheiterns doch fast sicher war. Was war mit Marlene? Ob er Marlene überreden konnte, mit ihm ins Bett zu gehen, um der alten Zeiten willen? So machten die Leute das doch, oder nicht? Aber sie hasste ihn zu sehr. Blieben nur die Zinnowitzer Teestuben. Er war nur selten betrunken genug, die Zinnowitzer Teestuben besuchen zu wollen. Aber wenn er den Rest von Gobulews Wodka hinunterwürgte, würde er es über kurz oder lang sein.
Wenn irgendeiner seiner Vertrauten gewusst hätte, dass Loeser nur deshalb ungern zu Prostituierten ging, weil er sich in deren Gegenwart nicht wohlfühlte, hätte er daraus vielleicht geschlossen, dass dieses für Loeser keine Frage moralischer Haltung war – oder aber er hätte geschlossen, dass dieses Gefühl der Unbehaglichkeit in sich eine Art von moralischer Haltung darstellte, eine moralische Haltung der krankhaften, selbstsüchtigen und impotenten Art, aber doch eine moralische Haltung. Wie dem auch sei, Loeser war seit seinem neunzehnten Geburtstag nicht mehr nüchtern bei einer Prostituierten gewesen, und seit Ende vergangenen Jahres nicht einmal mehr betrunken. Dieses letzte Mal war besonders übel gewesen. Beim Vollzug hatte er nach ungefähr einer Minute die Stoßbewegungen eingestellt und sich nervös geräuspert.
Das Mädchen, das sich Sabine nannte, wandte den Kopf und blickte ihn an. »Stimmt was nicht?«, sagte sie. Ströme von Schweiß rannen Loeser über die Stirn, während die ihre, wie üblich, irgendwie pudertrocken geblieben war.
»Weißt du, wenn es dir nichts ausmacht …«
»Wie hättest du’s denn gern, Schätzchen?«
»Ich will nicht abstreiten, dass du dir Mühe gibst, mit dem ganzen Gestöhne und dem pathetischen Beifall, den du meinem Schwanz zollst und so weiter, aber eigentlich …« Er hatte noch nie den Mut gehabt, es auszusprechen. »Ich mag es nicht, wenn ein Kellner oder Verkäufer wie mein Busenfreund tut, und ich mag es auch nicht, wenn du so tust, als würde dir das Ganze hier Spaß machen. Ist nicht bös gemeint. Das gehört zum Beruf, ich weiß. Aber wir wissen doch beide, dass es dir nicht wirklich Spaß macht. Die Außerkraftsetzung der Ungläubigkeit tritt nicht richtig ein. Und alles in allem törnt mich das einfach ab.«
Er hatte damit gerechnet, dass sie ein bisschen schmollen würde, aber stattdessen sagte sie nur: »Gut, wie du willst.« Erleichtert machte er sich wieder an die Arbeit, aber sie wand sich sofort von ihm weg und keuchte: »Nein, nein, bitte, lass mich, bitte, er ist zu groß!«
Verschreckt hielt er inne. »Oh, das tut mir leid!«
Sie blickte ihn wieder an. »Warum hörst du auf? Hab ich was falsch gemacht?«
Er hatte nicht gemerkt, dass sie geschauspielert hatte. »Was machst du da?«
»Du hast mir doch gesagt, ich soll so tun, als würde es mir keinen Spaß machen.«
»Nein, ich habe nur gesagt, du sollst nicht mehr so tun, als würde es dir Spaß machen.«
»Soll es mir jetzt Spaß machen oder nicht?«, fragte sie.
»Nein«, sagte er.
»Na dann.«
»Aber nicht so.«
»Wenn es mir keinen Spaß machen würde, dann würde ich wollen, dass du aufhörst, oder?«
»Aber vorhin hat es dir auch keinen Spaß gemacht, und da wolltest du nicht, dass ich aufhöre. Na ja, ich meine, ich bin mir ganz sicher, dass du im Grunde, und das will ich ja gerade sagen, doch wolltest, dass ich aufhöre, aber der Unterschied ist, dass du nichts gesagt hast.«
»Du hast mir ja nicht gesagt, dass ich was sagen soll.«
Ihr verärgerter Tonfall würgte Loeser die Erektion ab. »Ich weiß, aber … hör zu, können wir uns nicht einfach darauf einigen, dass ich dir nicht hundert Orgasmen verschaffe, dich aber auch nicht vergewaltige? Ich bin einfach nur ein höflicher Unbekannter, der dir einen gerechten Lohn für die effiziente Besorgung einer speziellen Dienstleistung in einem kapitalistischen System entfremdeter Arbeit anbietet, in Ordnung? Das ist meine schändliche Fantasie.«
Von da an war sie still und reglos wie eine Komapatientin. Was bei Weitem das Schlimmste der drei Szenarien war. Nach ein paar Minuten musste er eine Ejakulation vortäuschen, nur um dort wegzukommen, und er hatte nie damit gerechnet, dafür einmal
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