Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
der mächtigen amerikanischen Finanzwelt verfügte. Tatsächlich gelang es ihm, die 1929 ausbrechende große Weltwirtschaftskrise ohne allzu große Schrammen zu überstehen. Ein interner Krach unter den Aktionären endete jedoch mit der Trennung und dem Verlust seiner Beteiligung. Jean Monnet, zuvor zum Millionär geworden, musste wieder von vorn anfangen. Reich sollte er nie wieder werden – der Erfolg jedoch blieb ihm treu.
Gemessen an den vielfältigen Stationen seines Lebenslaufs während der 30er Jahre lässt sich über lange Strecken hinweg der Eindruck kaum vermeiden, dass wir es – in Umkehrung des »Manns ohne Eigenschaften« von Robert Musil – eher mit einem »Mann mit vielen Eigenschaften« zu tun hatten, um nicht zu sagen mit einem Hansdampf in allen Gassen. Zumeist als Berater nahm er eine nahezu unübersehbare Fülle wirtschaftlich ausgerichteter Aufträge wahr. So spielte er maßgeblich mit bei der Liquidation der übrig gebliebenen Vermögensteile des berühmten schwedischen »Streichholzkönigs« Ivar Kreuger, der nach dem Zusammenbruch seiner kriminellen Spekulationsgeschäfte Selbstmord begangen hatte. Kurz darauf ging es schon (freilich mit geringem Erfolg!) darum, sich von Shanghai aus in Diensten der chinesischen Nationalregierung um ausländische Investitionen im Land der Mitte zu bemühen. All diese (und noch viele andere) Tätigkeiten trugen ihm denn auch das Urteil eines amerikanischen Bankmanagers ein, der meinte, dass sich Jean Monnet »kaum sehr weit von einem Abenteurer unterscheidet«. Und in der Tat: Kaum wird man François Duchêne, einem seiner Biografen, widersprechen können, wenn er feststellt, dass »das Leben von Jean Monnet, wäre er 1938 gestorben und würde sich überhaupt jemand daran erinnern, als ein Leben voller unerfüllter Versprechen erschienen wäre«. Das sollte sich ändern.
Édouard Daladier, der französische Premierminister, den Hitler zusammen mit dessen englischem Kollegen Chamberlain 1938 in München übertölpelt hatte, ahnte durchaus, was kommen würde. Zudem wusste er genau, dass die militärische Rüstung seines Landes hoffnungslos hinterherhinkte. Das galt vor allem für einen zu erwartenden Luftkrieg. Es gab nur eine realistische Hoffnung: in den USA Flugzeuge zu kaufen. Und siehe da, Jean Monnet wurde dazu ausersehen, einschlägige Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung aufzunehmen. Seine beiden ersten Gesprächspartner waren der Präsident, Franklin D. Roosevelt, dem man später eine enge persönliche Freundschaft zu Monnet nachsagen sollte, sowie Henry Morgenthau Jr., der Finanzminister, der ihm wohl eher mit gewissem Misstrauen begegnete. Zumindest im Rückblick erwies sich jedenfalls dieser Auftrag als entscheidender Wendepunkt im Leben von Jean Monnet: Der zwischen privaten Interessen und öffentlichen Aufträgen hin und her flatternde Schmetterling reifte zu einem Staatsmann, der es wie kein anderer verstand, mit beharrlicher Geduld, Einfühlungsvermögen in gegensätzliche Interessen und Geschicklichkeit im Umgang mit anderen ein Ziel in die Tat umzusetzen, dessen epochaler Rang von Tag zu Tag klarer werden sollte.
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Zunächst kam es, wie es kommen musste. Hitler brach seinen lang ersehnten Krieg vom Zaun. Das europäische Völkergemetzel – und zusammen damit der Holocaust – nahm seinen Lauf. Am Schluss sollte ein ganzer Kontinent in Scherben liegen, wirtschaftlich, politisch, kulturell und, schlimmer als alles andere, menschlich. Wohl ist es wahr, dass einzelnen Personen allzu oft das alleinige Verdienst oder die alleinige Schuld – je nachdem – zugedacht wird, für geschichtliche Wendepunkte verantwortlich gewesen zu sein. Im Falle von Jean Monnet freilich kann nicht die Spur eines Zweifels sein: Vor allen anderen ist es ihm zu verdanken, dass die Europäerinnen und Europäer schon so bald nach dieser beispiellosen Katastrophe wieder zu sich selbst finden konnten.
Frankreich brach zusammen und fiel auseinander. Auf dem europäischen Festland duldeten die deutschen Sieger einen durch den greisen Marschall Pétain geführten Vasallenstaat mit der Hauptstadt Vichy. Durch einen entschlossenen politischen Handstreich setzte sich hingegen in London der General de Gaulle als Chef an die Spitze einer Exilregierung. Dabei versuchte er, sich kurzerhand alle nicht im unmittelbaren Zugriff der Vichy-Regierung verbliebenen französischen Streitkräfte zu unterstellen. Das gelang zwar nur teilweise: Sowohl der in Algier angesiedelte
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