Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
ja gleich da vorn umme Ecke.«
Agnes freute sich über ihren Triumph. Sie hatte es diesmal tatsächlich geschafft, den groben Kerl zurückzuhalten. Er war nicht ausfallend geworden, hatte sich ihrem besonnenen, vernünftigen Vorgehen angepasst. Sie war nur gespannt, ob das auch so bliebe, wenn irgendwann einer seiner Untergebenen dabei wäre. Oder fiele er dann wieder in seine alte, grobe Art zurück? Sie war neugierig auf die weitere Entwicklung. So machte ihr die Mission Spaß.
* * *
Ein etwa fünfzigjähriger Mann mit schütterem Haar begrüßte den Hauptmann und Agnes in der Werkstatt und stellte sich als der Geselle Gisbert vor. Im Raum standen mehrere Webstühle, an denen Männer arbeiteten. Dazwischen huschten einige Halbwüchsige und Frauen herum, die Tuche schleppten oder den Arbeitern beim Einspannen der Fäden zu Hilfe kamen.
»Wie kann ich Euch dienen?«, fragte Gisbert freundlich lächelnd.
»Wir möchten gern wissen, wie lange der Meister von Wiesen am Dienstag vor einer Woche hier in der Werkstatt war«, begann Wolfram.
»Was war denn da?«
»Am folgenden Tag fand man doch den Händler Bode tot in seinem Speicher.«
»Ach, ja!« Gisbert schlug sich vor die Stirn. »Jetzt erinner’ ich mich! Das Tuch für einen Ratsherrn musste bis zum nächsten Morgen fertig werden. Da saß ich bis tief in die Nacht dran.«
Agnes und Wolfram sahen sich freudig an. »War Euer Meister bei Euch?«
»Der?«, der Geselle lachte laut auf. »Der ist doch spätestens zur Dämmerung verschwunden.«
»Er sagte uns aber, dass er bis Mitternacht hier gewesen sei.«
»Wozu das denn?« Gisbert konnte sich kaum beruhigen. Er grinste breit und spitzbübisch. »Alle seine Leute hier können doch besser arbeiten als er. Er lebt einzig und allein von unserem Können. Der gibt sein Geld doch lieber in der Dullschen Badestube aus.«
»Ihr meint das Badehaus von Tobias Dullen am Deichhof?«, fragte der Hauptmann neugierig.
»Genau. Da lässt er sich von den Mädchen verwöhnen.«
»Auch in jener Nacht?«
Der Geselle zuckte mit den Schultern. »Weiß ich’s … Aber es ist bekannt, dass er oft genug dort ist.«
Agnes war schockiert. Was für ein Pharisäer! Gabriel von Wiesen ermahnte seinen Schwager zur Keuschheit und trieb sich in Badehäusern herum. Brüstete sich damit, die Zehn Gebote zu halten, aber verstieß gegen das Siebte:
Du sollst nicht ehebrechen
.Dieser Lügner! Wasser predigen und Wein trinken. Wie die Herr die Schriftgelehrten schon verurteilte:
Sie sagen es wohl, aber handeln nicht entsprechend
. 11 Und seine arme Frau schien nichts davon zu wissen. Wie hatte sie immer gesagt? Mein Gabriel ist ein guter Mann. Wenn sie wüsste! Oder hatte sie es erfolgreich verdrängt, um nicht ihr Leben aufs Spiel zu setzen?
Inzwischen hatte Wolfram den Gesellen gefragt, ob er etwas von einem Streit zwischen den Herren Bode und von Wiesen wusste.
»Allen ist doch bekannt, welch ein großer Heuchler der Wiesen ist. Der Schwager wusste auch ganz genau, wie der ist. Da lässt man sich nicht so einfach herumkommandieren. Ich hätte dem aber ganz gewaltig meine Meinung gesagt. Egal ob Verwandtschaft oder nicht.«
Agnes hatte ihre Entrüstung inzwischen überwunden. »Das sind ziemlich offene Worte gegen Euren Herrn. Hier vor den anderen. Habt Ihr da keine Angst?«
Gisbert lachte verschlagen. »Das ist nix Neues für die anderen hier. Die wissen schon, wie hier der Hase läuft. Andererseits braucht der Meister mich. Sonst geht hier nix mehr. Wer macht denn die wertvollen Stücke, die ihm das dicke Geld bringen? Wer hockt denn hier bis spät in der Nacht, um die wichtigen Aufträge zu erledigen? Außerdem, ich weiß genug über ihn. Mit mir wird er es sich nicht verderben wollen.«
Agnes überlegte einen Moment, bevor sie weitersprach: »Traut Ihr dem Herrn von Wiesen zu, seinen Schwager ermordet zu haben?«
Der Geselle lächelte plötzlich nicht mehr. Sein Gesicht wurde sehr ernst. Er blickte tief in Agnes’ Augen, ob er irgendeine Arglist oder Intrige darin erkennen konnte. Die Prüfung fiel wohl zu seiner Zufriedenheit aus, denn nach einem längeren Schweigen kam nur ein einziges Wort: »Ja.«
Zurück in der Schänke
Die grimmige Witwe Bode lag Ludolf schwer im Magen. So war das eben: Man wollte seine Arbeit gut machen, aber sobald man von dem guten Willen anderer abhängig war, wurde es schwierig. Denn wo es gegen deren Belange und Vorstellungen ging, konnte man von ihnen keine Hilfe mehr erwarten. Natürlich war der
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