Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hörten, Ihr hattet Streit mit Eurem Schwager. Stimmt das?«
Dem Zunftmeister war keine Überraschung anzusehen. Er war die Ruhe selbst. Langsam lehnte er sich zurück, stellte seine Ellenbogen auf die Stuhllehnen und drückte die Fingerspitzen seiner Hände gegeneinander. Dieses Gebaren sollte ihm wohl Zeit verschaffen, damit er seine Worte entsprechend wählen konnte. Schließlich antwortete er sehr bedächtig: »Einige Personen, die nicht anwesend waren, mögen das im Nachhinein unter Umständen als Streit auslegen. Ich nenne es eher eine … mmh … Klarstellung. Wir, das heißt meine treue Frau, meine liebe Schwester Anna und ich, waren mit dem Lebenswandel von Johannes nicht einverstanden. Er war ein durch und durch sündiger Mensch. Er trieb sich nächtelang in irgendwelchen billigen Kneipen herum, trank zu viel, hatte zwielichtige Freunde, diverse Frauengeschichten. Ihr habt doch sicherlich schon von seinem Kind mit der Magd … – wie hieß sie doch gleich noch? Ach, ja, Lyse – von seinem Kind mit der Lyse gehört?«
»Davon hat uns schon die Witwe, Eure Schwester, berichtet. Bei ihr klang es aber so, als hätte die Magd das nur behauptet, um an Geld zu kommen.«
Der Wollweber schüttelte mitleidig den Kopf. Er klang nun, als spräche er mit einem kleinen Kind. »Junge Dame! Glaubt Ihr wirklich, dass eine trauernde Witwe solch eine Schande so kurz nach dem Tod ihres Mannes allen Menschen offen berichtet? Sie wird ganz bestimmt alles tun, um den letzten verbliebenen Rest an Ehre zu erhalten. Sie wird die Geschichte so darstellen, dass das Ansehen ihres Mannes, und damit schließlich auch ihr eigenes, so wenig wie möglich beschädigt wird. Wollt Ihr meiner Schwester deswegen einen Vorwurf machen? Nur weil sie ihre arme Tochter zu schützen suchte? Versteht das bitte.«
Agnes mochte es ganz und gar nicht, wenn man sie so von oben herab behandelte. »Wenn ich das richtig verstehe, bedeutet es, dass das Kind der Magd Lyse doch von Eurem Schwager ist?«
»Gewiss.«
In Agnes’ Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander. Die Witwe Bode stellte das uneheliche Kind als versuchte Erpressung dar, ihr Bruder dagegen als Tatsache. Die Magd Petra hatte erzählt, dass die Witwe ihrem Mann einen Seitensprung zutraute, dass sie, Petra, aber sicher war, dass der Händler nie untreu gewesen war. Agnes wollte eher der mitfühlenden Magd glauben als der beherrschten Witwe. Was sollte dieses Hin und Her? Was steckte dahinter? Sollte der Händler Bode damit unter Druck gesetzt werden? Dafür sprach, dass die Magd Petra nicht entlassen worden war, obwohl man auch ihr ein Verhältnis mit Bode unterstellte. Warum diese Unterstellungen? Hatte es tatsächlich einmal einen Seitensprung gegeben, den man Bode immer wieder vorwarf? Hattet dieses Thema überhaupt etwas mit dem Mord zu tun oder war es nur eine bedeutungslose Nebensache?
Dem Hauptmann dauerte Agnes’ Grübeln zu lang. Ungeduldig sprang er ein: »Ihr gebt also zu, dass Ihr mit Eurem Schwager Streit hattet? Oder was man auch immer dafür halten konnte.«
Von Wiesen antwortete mit einem gedehnten Ja.
»Vielleicht wolltet Ihr der Zurechtweisung noch ein wenig Nachdruck verleihen, weil Euer Schwager nicht hören wollte. Vielleicht wolltet Ihr ihn einmal so richtig in Todesangst versetzen. Habt dabei aber ein wenig übertrieben. Wenn Ihr Euren Schwager aus Versehen umgebracht habt, sagt es ruhig. Wir werden bestimmt einen gnädigen Richter finden, der die Umstände richtig einordnen kann.«
Der Zunftmeister lief rot an, blieb aber trotz der offenen Anschuldigung ausgesprochen beherrscht. »Ich werde mich beim Rat über Eure unverschämte Anschuldigung beschweren. Dann seid Ihr ganz schnell kein Hauptmann mehr.«
Wolfram lachte. »Das haben schon viele versucht, aber noch nie geschafft. Das Gesetz ist auf meiner Seite. Es geht um Mord. Bis ich etwas anderes vom Rat höre, werdet Ihr antworten. Sonst werdet Ihr sofort in den Kerker geworfen. Wollt Ihr das?«
Meister Naumann war bei dem letzten Wortwechsel sehr nervös geworden. Unruhig war er in seinem Stuhl hin und her gerutscht. Nun versuchte er, von Wiesen zu beschwichtigen. »Lieber Freund, so antwortet doch! Wenn Ihr doch nichts zu verbergen habt! Wir können uns wirklich keine Probleme mit dem Rat leisten. Wir sind nur eines der kleinen Ämter 10 und haben keine Stimme im Rat.«
Von Wiesen winkte seinem Kollegen beschwichtigend zu. »Ist schon gut. Man sollte sich nur nicht alles gefallen lassen.« Er wandte
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