Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sich nun wieder Wolfram zu: »Ich habe nur mit meinem Schwager Johannes gesprochen. Mehr nicht. Ich kenne die Zehn Gebote und halte mich streng daran. Ich habe ihn weder ermordet noch überhaupt Hand an ihn gelegt.«
»Wo wart Ihr vor einer Woche? In der Todesnacht?«
»Ich hatte noch bis in die Nacht in der Werkstatt zu arbeiten.«
Agnes hatte sich inzwischen gefangen und übernahm die Befragung wieder. »Das wisst Ihr noch so genau?«
»Natürlich. So ein Ereignis ist ein Schock. Das bleibt hängen. Ich war gegen Mitternacht zurück. Meine Frau wird das gehört haben. Fragt sie. Sie wird das bestätigen.«
»Wir haben Eure Frau schon danach gefragt. Sie sagte, Ihr wärt um Mitternacht noch nicht da gewesen.«
Plötzlich wurde der bisher so beherrscht wirkende Wollwebermeister unruhig. Seine Finger trommelten leise auf die Stuhllehnen. Er konnte nicht wissen, was seine Frau gesagt hatte. Von einem Augenblick auf den anderen hatte er nicht mehr alles unter Kontrolle. Aber er fing sich schnell. »Dann war es schon etwas nach Mitternacht. Ich weiß es nicht mehr so genau. Vielleicht hat sich meine Frau geirrt. Ich denke, nach so langer Zeit ist niemand mehr in der Lage, das so genau zu bestimmen.«
»Wir werden das überprüfen.«
»Ach. Wie denn?«
Agnes ließ eine kleine Pause verstreichen, um ihre Frage gewichtiger erscheinen zu lassen. »Wart Ihr allein in der Werkstatt? Gibt es einen Zeugen dafür? Oder hat Euch ein Nachbar gesehen?«
Von Wiesen beeilte sich mit der Antwort. »In unserer alten Wohnung über der Werkstatt wohnen nur zwei alte Schwestern, ihre verstorbenen Ehemänner gehörten der Zunft an. Aber die beiden hören nicht mehr gut. Sie bemerken bestimmt nicht, ob und wann jemand unten in der Werkstatt ist.«
»Und wie steht es mit einem Gesellen oder Arbeiter?«
»Von denen war auch keiner mehr da. Ihr müsst Euch auf das verlassen, was ich Euch sage.«
Wolfram brummte dazwischen: »Ich traue keinem. Also bleibt Ihr verdächtig.«
Jetzt meldete sich Meister Naumann wieder zu Wort: »Werte Frau, werter Hauptmann. Ich möchte als Leumund für den Zunftmeister von Wiesen bürgen. Er ist stets redlich und untadelig. Er ist ein guter Christ.«
»Ja, ja. Schon gut. Ich hab’s gehört. Trotzdem bleibt der Herr von Wiesen verdächtig.«
Missmutig stand Wolfram von Lübbecke auf. Dieses ergebnislose Gerede ging ihm auf die Nerven. Agnes erhob sich ebenfalls. Eigentlich war alles Wichtige besprochen worden. Sie war nur froh, dass der Hauptmann nicht schon wieder ausfallend geworden war. Begann ihr Einfluss zu wirken oder hatte er einfach nur mehr Respekt vor diesen hochgestellten Männern?
Nach einer kurzen Verabschiedung verließen die beiden den Raum.
Die erboste Witwe
Wusste die Witwe Bode etwas von den vermeintlichen Schulden? Hatten Agnes und ihr grobschlächtiger Soldat am Morgen überhaupt danach gefragt? Mittags vor dem Rathaus hatten die beiden jedenfalls nichts davon erwähnt. Daran hätte sich Ludolf bestimmt erinnert. Anna Bode konnte ihm sicherlich mehr dazu sagen, wie es um das Handelshaus bestellt war.
Ludolf war wütend auf sich selbst. Der Streit mit Agnes hatte ihn so durcheinandergebracht, dass er nicht mehr wusste, in welcher Reihenfolge er vorgehen sollte. Nachdem er mit dem Kontorsgehilfen gesprochen hatte, wäre das nächstliegende Gespräch doch das mit der Witwe gewesen. Oder? Aber nein, er musste ja erst zur Schänke gehen!
Also machte er sich wieder auf den Weg zum Haus der Familie Bode. Ulrich Rehkopf war im Kontor. Nachdem Ludolf seinen Wunsch, die Witwe Bode zu sprechen, vorgebracht hatte, führte ihn der Kontorsgehilfe zur Wohnung hoch, in eine eher einfach ausgestattete Stube.
»Wartet bitte hier«, bat Ulrich Rehkopf. »Ich sage der Herrin Bescheid.« Und schon war er verschwunden.
Ludolf musste recht lange warten. Zwei Fenster mit Butzenscheiben ließen einen verschwommenen Blick auf den Hof des Hauses zu. Ein langer Tisch mit einigen Stühlen stand mitten im Raum, an den Wänden zwei Schränke und eine Kommode, darauf einige Kerzen. In der einen Zimmerecke nahe einem der Fenster stand ein gemütlich aussehender Sessel. Daneben befand sich ein kleiner Tisch, auf dem eine Stickarbeit lag.
Plötzlich öffnete sich eine Tür, und eine Frau mittleren Alters kam herein. Sie trug ein dunkles, schmuckloses Kleid und ein helles Leinentuch über den Haaren. Ihr Gesicht verriet keine Regung, es war starr und abweisend. Ihre Hände hatte sie unterhalb der Brust
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