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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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keinen Blick. Steenhoff konnte nicht sagen, was Kemal Cetin in diesem Moment fühlte. Oder ob er überhaupt etwas fühlte? Er wirkte wie ausgelöscht.
    «Herr Cetin, seit wann ist Nilgün weg?»
    Der Mann starrte seine Hände an. Die Fingerknöchel färbten sich weiß. Krampfhaft bemühte er sich, nicht die Fassung zu verlieren. «Osman, bitte erkläre du   …»
    «Seit Montag», antwortete schließlich sein Sohn. «Sie ist seit Montagabend nicht wieder nach Hause gekommen.»
    Etwas in Osmans Stimme ließ Steenhoff aufhorchen. «Was habt ihr daraufhin gemacht?»
    «Wir haben sie gesucht. Ist doch klar, oder?», antwortete der Junge gereizt.
    «Und? Habt ihr sie gefunden?»
    «Nein. Sonst wäre sie wohl kaum da, wo sie jetzt ist.»
    Die Art, wie Osman über seine Schwester redete, gefiel Steenhoff nicht.
    «Herr Cetin, warum haben Sie Ihre Tochter nicht als vermisst gemeldet? Heute ist Freitag. Sie ist seit Montag verschwunden.»
    Der Mann rührte sich noch immer nicht. Besorgt beobachtete Steenhoff Kemal Cetin. Er hätte gern seine Trauer respektiert und ihn und seine Familie allein gelassen, aber als Mordermittler musste er manchmal unerbittlich sein. «Haben Sie Nilgün seit Montag nochmal lebend gesehen?»
    Der Mann schüttelte unmerklich den Kopf. Das Jammern seiner Frau, die noch immer auf dem Boden hockte, schwoll zu einem lauten Wehklagen an.
    «Habt ihr Tanten oder Cousinen, die schnell kommen können?», fragte Navideh das Mädchen.
    Saliha nickte und ging in die Küche, um ihr Handy zu holen. Sie wollte gerade die Verwandten benachrichtigen, als Osman sie zurückhielt. «Du rufst jetzt niemanden an. Das ist allein unsere Sache. Das hier geht niemanden etwas an.»
    «Osman, warum seid ihr nicht zur Polizei gegangen, als Nilgün nicht nach Hause kam?»
    Der Junge zuckte trotzig mit den Schultern.
    Langsam wurde Steenhoff wütend. «Ist das häufiger vorgekommen, dass Nilgün über Nacht wegblieb?»
    «Das hätte sie wagen sollen!», sagte Osman wütend.
    «Was hättest du dann mit ihr gemacht?», schaltete sich Navideh ein.
    «Ich hätte sie   …» Er brach mitten im Satz ab. «Nilgün wusste, was sie uns schuldig war.»
    «Was meinst du damit?»
    «Niemals hätte sie unsere Ehre in den Dreck gezogen.»
    «Dir geht es um Ehre. Ich frage mich, warum man sich nicht sorgt, wenn die 1 6-jährige Schwester und Tochter tagelang wegbleibt.» Steenhoff suchte vergeblich den Blick von Nilgüns Vater. «Herr Cetin, wenn Sie mir diesen Widerspruch nicht erklären können, muss ich Sie zur Vernehmung aufs Präsidium mitnehmen.» Doch die Worte schienen an ihm abzuperlen. Das Verhalten des Mannes befremdete Steenhoff. Er reagierte anders als alle Menschen, die Steenhoff bislang in ähnlichen Situationen erlebt hatte. Blitzschnell überlegte er, ob er der Familie alles erzählen sollte. Es würde ihre Qualen noch vergrößern. Aber hatten sie nicht auch das Recht, alles über ihre tote Tochter zu erfahren?
    Schließlich gab er sich einen Ruck. «Sie oder einer ihrer beiden Söhne müssen mich in die Rechtsmedizin begleiten, um Nilgün zu identifizieren. Aber vorher habe ich Ihnen und Ihrer Frau noch etwas zu sagen.» Steenhoff streifte Osman und Saliha mit einem flüchtigen Blick. «Ich möchte, dass Ihre Kinder den Raum verlassen.» Keiner der beiden rührte sich. Erst als Kemal Cetin ihnen stumm bedeutete hinauszugehen, standen sie auf und gingen.
    Steenhoff schloss die Tür hinter ihnen und wandte sich an die Eltern. Sie allein sollten entscheiden, was sie ihren Kindern erzählten und was nicht. Er holte tief Luft. Dann berichtete er ohne Umschweife von Nilgüns Schwangerschaft.
     
    Später war Steenhoff froh, als der von Petersen alarmierte Notarzt an der Tür klingelte. Die zweite Nachricht schien die Eltern mindestens ebenso zu schockieren wie die Nachrichtvom Tod ihrer Tochter. Besma Cetin begann nach Luft zu schnappen und griff sich ans Herz. Kemal Cetin sprang auf und trat mit Wucht gegen den Wohnzimmertisch. Dann ging er zum Fenster und fixierte einen Punkt auf der Straße. Als er sich wieder umdrehte, wirkte er um Jahre gealtert. Zu Steenhoffs Überraschung sagte er völlig ruhig: «Wir können jetzt fahren.»
    Inzwischen war auch der älteste Sohn, Murat, in der Wohnung eingetroffen. Besorgt kümmerte er sich um seine Mutter. Anders als Osman und sein Vater hatte er offenbar keine Probleme, seine Gefühle zu zeigen. Er weinte still vor sich hin.
    Als Steenhoff mit Kemal Cetin ins Auto stieg, war er froh,

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