Ehrenhüter
unterdrückte Rolle zwingen.»
Steenhoff schüttelte abwehrend den Kopf.
«Guck dir die Deutschen an», fuhr Navideh unbeirrt fort. «Musste nicht eine Frau noch vor einigen Jahren ihren Mann um Erlaubnis bitten, wenn sie arbeiten gehen wollte? Oder die Vergewaltigung in der Ehe. Diesen Straftatbestand gab es bis 1997 nicht mal! Da die Väter des Gesetzes offenbar der Ansicht waren, dass eine verheiratete Frau kein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung hat … Oder das Wahlrecht oder das Recht zu studieren –»
«Du redest wie eine Feministin», unterbrach sie Steenhoff.
«All diese Einschränkungen und Benachteiligungen haben mit dem Christentum vermutlich wenig zu tun, aber viel mit Traditionen.»
«Aber bei uns gab es nicht diesen verqueren Ehrbegriff», wandte Steenhoff ein.
«Bist du dir da so sicher? Denk nur mal an den Begriffder Anstandsdame oder daran, dass es früher völlig verpönt war, einen Ehepartner aus einem anderen Stand zu heiraten. Das ist noch gar nicht so lange her. Bis vor einiger Zeit wurde eine junge Frau mit einem unehelichen Kind gesellschaftlich geächtet, ihr Kind galt als wertloser Bastard.» Sie dachte kurz nach. «Haben sich Männer nicht sogar noch im 19. Jahrhundert wegen Kleinigkeiten duelliert? Ich habe mal irgendwo gelesen, dass diese sogenannten Ehrenmänner für eingebildete oder tatsächliche Beleidigungen Satisfaktion vom Gegner forderten und dafür bereit waren, den anderen zu töten.»
Steenhoff hörte ihr aufmerksam zu.
«Die Deutschen glauben immer, wer weiß wie fortschrittlich zu sein, aber all diese Errungenschaften im Verhältnis zwischen Männern und Frauen sind noch verdammt jung. Ganz abgesehen davon, dass Frauen noch immer schlechtere Chancen im Beruf haben als Männer.»
«Du bist tatsächlich eine Feministin», stellte Steenhoff trocken fest.
«Und ich bin stolz darauf», erwiderte sie würdevoll.
Steenhoff musterte seine Kollegin und suchte vergeblich nach einem ironischen Zug um ihre Mundwinkel. Aber Navideh Petersen war es ernst.
Erst als Wessel ihnen vom anderen Ende des Flurs zuwinkte und auf seine Uhr tippte, beendete Steenhoff das Gespräch. «Lass uns in die Besprechung gehen. Wir haben heute eine Menge zu tun.»
Es war schon Mittag als Steenhoff vor dem Haus von Romans Eltern hielt. Klaus Rodewaldt reagierte ähnlich empört wie Stefanie Wagenknecht. Aber er drohte nicht mit seinem Anwalt oder der Presse.
«Wir haben das Mädchen hier immer freundlich aufgenommen, und jetzt muss sich mein Sohn vor dieser Familie in Acht nehmen», schimpfte er. «Das kann doch wohl nicht wahr sein!»
«Die tun mir schon nichts, Papa», versuchte ihn Roman zu beruhigen. Aber in seiner Stimme schwang Angst mit.
«Wir werden uns die beiden Brüder noch heute vornehmen», kündigte Steenhoff an.
«Was ist mit dem Vater?», warf Klaus Rodewaldt ein.
«Den auch.»
«So eine Familie gehört abgeschoben. Die haben hier mit ihren mittelalterlichen Ansichten nichts zu suchen.»
«Papa!» Roman sah seinen Vater entsetzt an.
Klaus Rodewaldt winkte wütend ab und verließ den Raum.
«Mein Mann macht sich große Vorwürfe, dass wir Roman diese Freundschaft nicht ausgeredet haben», schaltete sich Cornelia Rodewaldt ein. Romans Mutter war unbemerkt zur Tür hereingekommen und gab Steenhoff die Hand. «Ich nehme an, Sie sind der Herr von der Polizei? Roman und mein Mann haben mir von Ihnen erzählt.»
Cornelia Rodewaldt wirkte gefasst. Ihren Vorschlag, ein Gespräch mit Nilgüns Eltern zu vereinbaren, um das gegenseitige Misstrauen abzubauen, lehnte Steenhoff jedoch ab. «Vielleicht später. Aber derzeit würde es die Familie überfordern. Roman steht in den Augen der Cetins nicht nur unter Verdacht, Nilgün etwas angetan zu haben, sondern er hat auch ein Tabu gebrochen, indem er mit ihr geschlafen und sie geschwängert hat.»
«Ja, Sie haben vermutlich recht», räumte Cornelia Rodewaldt nachdenklich ein. Sie sah Roman an, der ihrem Blick aber auswich. «Aber wie können wir unseren Sohn dennschützen? Das Ganze ist ja völlig irrational. Ich meine, in dem Alter ist es doch absolut normal, dass junge Leute miteinander … intim werden. Also, als wir von der Schwangerschaft erfuhren, waren wir natürlich auch entsetzt. So früh sollte man noch nicht eine solche Verantwortung übernehmen. Aber sicherlich hätten wir zusammen eine Lösung gefunden.»
«Ich werde veranlassen, dass das zuständige Revier nachts regelmäßig Streife fährt. Aber Roman
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