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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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ausstellte?
Anne
versuchte, sich unsichtbar zu machen, aber
Baba
schrie sie an, dass sie eine schlechte Mutter sei, wenn sie nicht wisse, wo sich ihre älteste Tochter herumtreibe. Die Schule mit den vielen Deutschen habe Nilgün verdorben. Sie wisse nicht mehr, was sie ihrer Familie schulde. Ein anständiges Mädchen treibe sich nicht bei Einbruch der Dunkelheit in den Straßen herum.
    Mit einem Ruck wurde die Tür zu Salihas und Nilgüns Schlafzimmer aufgerissen.
    Saliha saß auf ihrem Bett und sah erschrocken zu ihrem Vater hoch. Sein wutverzerrtes Gesicht machte ihr Angst.
    «Wo ist deine Schwester?»
    «Ich weiß es nicht,
Baba

    «Wo?»
    «Ich schwöre, ich weiß es nicht!»
    Der Schlag ins Gesicht kam unerwartet. Die Tränen schossen ihr in die Augen. Als Saliha sie wegwischte, blieb eine schmierige Spur aus Schleim und Blut auf ihrem Handrücken zurück. Ihr Vater schien es gar nicht zu bemerken. Er zog sie an den Haaren zu sich heran, sodass sie vor Angst und Schmerzen laut aufheulte. «Wo treibt sich Nilgün herum? Sag es mir, oder ich werde die Antwort aus dir herausprügeln!»
    «Nilgün hat mir nichts gesagt! Bitte,
Baba
  …»
    Der zweite Schlag traf sie mit solcher Wucht, dass sie mit der linken Schulter gegen die Wand prallte. Schützend riss Saliha ihre Arme über den Kopf, um weitere Schläge abzufangen. Vergeblich. Neben sich hörte sie das Gekreische ihrer Mutter, die den Vater anflehte aufzuhören.
    «Ich habe noch gar nicht richtig angefangen!», brüllte er und versetzte seiner Tochter mehrere Faustschläge gegen die Brust. «Wo ist deine Schwester? Sag es mir. Ihr wisst alles voneinander. Ihr redet jede Nacht. Erzähle mir ihr dreckiges Geheimnis! Los, erzähl! Oder bist du auch so eine Hure wie deine Schwester?» Wieder prasselten seine Fäuste auf sie ein.
     
    Das Klingeln an der Haustür schien aus einer anderen Zeit zu kommen. Erst dachte Saliha, es sei das Dröhnen in ihrem Kopf, aber der Ton wiederholte sich. Wieder und wieder. Die Klingel schien sich verhakt zu haben. Es hörte gar nicht mehr auf.
    Und plötzlich gab es keine Schläge mehr. Kemal Cetin sah fassungslos auf seine jüngste Tochter, die zusammengekrümmt auf ihrem Bett lag, den Kopf unter den Armen verborgen. Schwer atmend richtete er sich auf, blickte mitleeren Augen seine weinende Frau an und ging wie in Trance an ihr vorbei zur Tür.
    Wimmernd kroch Saliha in die äußerste Ecke ihres Bettes und rollte sich wie ein kleines Kind zusammen. Schluchzend strich ihr die Mutter über das Haar. «Bitte sag uns, wo deine Schwester ist. Bitte! Mit wem hat sie sich heute getroffen? Sie ist doch noch nie zu spät von der Schule nach Hause gekommen. Bitte, Saliha!»
    Aber Saliha antwortete nicht. Nie würde sie ihre geliebte Schwester dem Vater preisgeben. Nie!
    Nilgün war aus dem Frauengefängnis ausgebrochen. Wie sie es angekündigt hatte. Vermutlich war sie bei ihrem deutschen Freund, vielleicht auch bei einer ihrer Mitschülerinnen. Die Schwester war beliebt. Sie hatte viele Möglichkeiten unterzuschlüpfen. Aber warum hatte sie ihr nichts gesagt? Nilgün konnte sich doch auf sie verlassen.
    Saliha hörte, wie ihr Vater mit jemandem sprach. Einen Moment lang meinte sie, die Stimme der Bosnierin aus der Nachbarwohnung zu erkennen. Eine energische Frau, die sich immer kerzengerade hielt. Selbst wenn sie den Müll nach draußen trug, tat sie es mit solcher Würde, als habe sie Juwelen in der Hand. Die Kinder aus dem Haus nannten sie wegen ihrer Körperhaltung nur «der Stock». Vermutlich hatte die Bosnierin die Schreie gehört und kurzentschlossen geklingelt. Der Vater sprach beruhigend auf die Nachbarin ein. Wenig später hörte Saliha, wie er die Haustür wieder schloss. Seine Schritte kamen näher. Ihre Mutter rückte noch näher an sie heran, aber der Vater ging an ihrem Zimmer vorbei ins Wohnzimmer und ließ sich auf den Sessel fallen.
     
    Am nächsten Morgen blieb Saliha zu Hause. Auch am Mittwoch und Donnerstag ging sie nicht zur Schule. Zwei Freundinnen,die sich nach ihr erkundigten, fertigte ihre Mutter am Telefon ab. Angeblich habe Saliha hohes Fieber und könne auch die nächsten Tage nicht das Haus verlassen.
    In der Tat hätte Saliha nicht auf die Straße gehen können, ohne dass man sie sofort angesprochen hätte. Ihre Arme, die Schulter und der Rücken waren übersät mit blauen Flecken. Obwohl es für die Jahreszeit zu warm war, trug sie einen langärmeligen Pullover, um ihre Verletzungen zu verbergen. Sie

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