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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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die steilste Position.
    »Mund auf!«
    Zu seiner Verwunderung gehorchte der Alte und aß den ganzen Becher leer, es dauerte allerdings eine gute halbe Stunde. Dazwischen trank er auch ein paar Schlückchen Wasser. Max war richtig stolz.
    Als es klingelte, rief Max seine Mutter an, noch während er die Treppe zur Haustür hinunterflitzte.
    Die erwartete Pflegerin stand vor ihm. »Ich bin die Jenny«, sagte sie, und er führte sie nach oben.
    »Guten Tag, Herr Knobel«, rief sie vernehmlich und ergriff die Hand des Alten. »Wie geht es Ihnen heute?«
    Der Großvater strahlte. »Bei diesem Anblick ganz ausgezeichnet!«, sagte er.
    »Dann wollen wir Sie mal ein bisschen frisch machen«, sagte Jenny und bat um eine Schüssel, ein Badelaken, zwei Handtücher, zwei Waschlappen und Seife; ein paar Senioren-Windeln hatte sie mitgebracht. Max zeigte ihr das Badezimmer und ging wieder zur Haustür, um seine Mutter abzufangen.
    »Und?«, fragte sie atemlos. »Wie hat's geklappt? Was ist es für eine?«
    »Weiß man noch nicht«, sagte Max. »Blond und nett, glaub' ich.«

5

    Mittwoch früh stellte sich eine zweite Pflegerin, Schwester Kriemhild, vor. Eine gestandene Frau, stattlich und stark, mütterlich und einfühlsam.
    Genau wie ihre Kollegin Jenny ergriff sie die Hand des Alten und hielt sie eine Weile, nannte ihren Namen, fragte nach seinem Befinden und wie er geschlafen habe. Willy Knobel antwortete nicht. Schwester Kriemhild fackelte nicht lange, ließ sich die Waschsachen zeigen und suchte das Gebiss. Max hatte es bisher noch nicht aus der Seifendose herausgenommen.
    Sie reinigte die dritten Zähne mit Zahnpaste und -bürste, trat erneut ans Krankenbett und sagte freundlich: »Herr Knobel, machen Sie mal bitte den Mund auf!«
    Er reagierte nicht, sie seufzte. Ratlos standen Max und Petra daneben, doch Schwester Kriemhild blieb gelassen.
    »Na, dann eben nicht. Aber ein bisschen waschen und rasieren muss sein...«
    »Von Ihnen lass ich mir schon gar nichts befehlen, Sie alte Fregatte«, sagte der Alte plötzlich.
    Schwester Kriemhild lachte und bat die Angehörigen, sie mit dem Patienten allein zu lassen. Nach einer halben Stunde polterte sie die Treppe herunter, rief laut »Hallo« und meldete Erfolg.
    »Ein kleiner Machtkampf. Er stammt wohl in direkter Linie von Napoleon ab«, stellte sie fest.
    Schwester Kriemhild hatte noch mehrere Anliegen. Als Erstes verlangte sie zwei Hausschlüssel, einen für die Früh-, einen für die Spätschicht. Dann könne man auch hereinkommen, wenn mal keiner zu Hause sei; die Pflegerinnen müssten ein immenses Pensum bewältigen und könnten nicht lange auf Einlass warten. Im Bad müssten vier zusätzliche Haken angebracht werden, jeweils mit der Beschriftung oben und unten für Waschlappen und Handtücher. Sie brauche Franzbranntwein, eine fettende Hautcreme und Inkontinenz-Vorlagen aus der Apotheke.
    »Es handelt sich um große Kartons«, sagte sie. »Auch in diesem Haus brauchen wir einen festen Platz dafür.« Sie sah sich suchend um.
    »In Mizzis Kleiderschrank«, sagte Petra traurig. Im Bad nahm der Wannenlift bereits sehr viel Raum ein.
    Schließlich war Schwester Kriemhild davongefahren, Max hatte in der Apotheke eingekauft und zwei Sechserpackungen mit Vanillepudding vom Supermarkt mitgebracht. Damit war für seine Mutter alles erledigt.
    »Kommst du allein zurecht?«, fragte sie und machte, dass sie in ihren Laden kam.
    Max trat erneut an das Bett des Großvaters, der ihn mit waidwundem Blick anschaute.
    »Wichtiger als Hygiene sollte doch wohl ein Frühstück sein«, klagte er.
    »Möchtest du Kaffee und ein Brötchen mit Marmelade?«
    »Pudding!«
    Diesmal ließ er sich zwei Becher verfüttern und trank Schluck für Schluck eine große Tasse Kaffee.
    »Wo bin ich überhaupt?«, fragte er.
    Max wollte es ihm erklären, aber sein Großvater schlief schon wieder.
    Vom Büro aus rief Harald seine Tochter in Berlin an, denn er wusste, dass ihre Lebensgefährtin vormittags nicht zu Hause war, diese Jasmin, die seine Mizzi verführt hatte.
    »Haben sie es dir überhaupt schon gesagt?«, fragte er. »In deinem Zimmer sieht es aus wie auf einer Krankenstation. Opa liegt dort im Bett und wird von einer Pflegerin gewaschen. Aber keine Sorge, er wird es nicht mehr lange machen...«
    »Sorge? Von mir aus kann er hundert werden«, sagte Mizzi leicht genervt. »Ich brauche dieses Zimmer nicht mehr. Meine persönlichen Sachen habe ich längst mitgenommen. Hebt aber bitte Omas

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