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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Damastbettwäsche für mich auf. Und die Puddingform.«
    Harald dämmerte, dass er seine Tochter nicht als Verbündete gewinnen konnte. Um nicht ihre Ungeduld oder gar ihren Zorn zu provozieren, fragte er schnell nach dem Wetter.
    »In Berlin ist es immer kälter als bei euch«, sagte Mizzi, »bekommt mir viel besser als das lasche Bergstraßenklima. Grüß Mama und Max. Tschüs, Papa.«
    Am Nachmittag wurde der Amtsarzt gegen drei Uhr erwartet. Petra kam kurz vorher nach Hause, damit diese letzte Hürde in ihrem Beisein überwunden werden konnte. Ihr Schwiegervater schlief.
    »Warum muss denn schon wieder ein Doktor seinen Senf dazugeben?«, fragte Max.
    »Weil es von seinem Gutachten abhängt, ob die Krankenkasse den Pflegedienst ganz, teilweise oder gar nicht bezahlt«, sagte seine Mutter. »Als erfahrener Arzt wird er sofort erkennen, dass es sich um das Endstadium eines Schwerkranken handelt.«
    Ganz sicher schien sie sich allerdings nicht zu sein, denn sie hüstelte andauernd und sah immer wieder auf die Straße hinaus.
    Der Amtsarzt kam pünktlich, ließ sich erst von Petra einen kurzen Bericht erstatten und stapfte dann die Treppe hinauf.
    »Guten Tag, Herr Knobel«, sagte er vernehmlich. »Ich habe gehört, dass Sie krank sind. Wie geht es Ihnen heute?«
    Der Alte war hellwach und grinste.
    »Prächtig, prächtig«, sagte er. »Sie wissen ja: medicus curat, natura sanat.« Offenbar war er froh, endlich einen Kundigen gefunden zu haben, der Latein verstand.
    Petra flüsterte ihrem Sohn ins Ohr: »Der Arzt behandelt, die Natur heilt - oder so ähnlich.«
    Zum Doktor gewandt, meinte sie leise: »Die Folgen der Narkose...«
    Nach der Untersuchung nahm der Amtsarzt bei Petra und Max im Wohnzimmer Platz. Punkt für Punkt füllte er einen Fragebogen aus, wobei er jedes Mal seinen schweren Kopf hob, um die Angehörigen prüfend zu mustern.
    »Kann er selbständig essen oder muss er gefüttert werden?«, fragte er.
    »Er verweigert jegliche Nahrung«, sagte Petra.
    Max schwieg meistens und überließ es seiner Mutter, den Großvater zu beurteilen.
    »Würden Sie sein Naturell eher als freundlich, zugewandt, depressiv oder aggressiv bezeichnen?«
    »Eher als schwierig und uneinsichtig«, antwortete Petra.
    »Ist er zeitlich und örtlich orientiert?«
    »Nein, er ist häufig verwirrt und halluziniert gelegentlich.«
    Und so ging es weiter, bis der Arzt fertig war und sich verabschiedete.»Sie erhalten demnächst ein Schreiben der zuständigen Krankenkasse«, meinte er und ließ nicht durchblicken, zu welchem Ergebnis er gekommen war.
    »Komische Leute«, sagte der Alte zu Max. »Erst diese Grimmhild - nomen est omen! Und dann so ein Scharlatan! Hat mir noch nicht einmal den Puls gefühlt! Übrigens gefiel mir die Blonde von gestern am besten. Aber jetzt ist hoffentlich Puddingzeit.«
    Max teilte die Meinung seines Großvaters. Vor allem was Jenny anging. Doch wie viele Portionen Pudding hatte der Opa eigentlich schon verputzt, und ob diese Diät die richtige war? Egal, einem Sterbenden sollte man alle Wünsche erfüllen.
    Am späten Nachmittag sah Petra die leeren Puddingbecher im Mülleimer und schüttelte missbilligend den Kopf. Sobald die Geschichte mit dem Kranken ausgestanden war, würde sie dafür sorgen, dass Max regelmäßig in die Mensa ging.
    Zum Abendessen gab es Grünkohl aus der Tiefkühltruhe, Bratkartoffeln und Fleischkäse. Eigentlich schmeckte es allen dreien nicht.
    »Und?«, fragte Harald. »Wie geht's Herrn Knobel senior?«
    »Höchste Zeit, dass du dir selbst ein Bild machst«, entgegnete Petra scharf. »Du solltest von deinem Vater Abschied nehmen, ehe es zu spät ist.«
    »Bist du eine Hellseherin? Vielleicht überlebt er uns alle!«
    »Auf keinen Fall«, protestierte Petra. »Doktor Ofenbach sagt, wenn ein Todkranker feste und flüssige Nahrung verweigert, dauert es etwa eine Woche bis zum Ende. Und die Woche deines Vaters hat nur noch ein paar Tage.«
    Max erklärte nun doch: »Opa hat Wasser getrunken.«
    Seine Eltern sahen ihn verblüfft an.
    »Man sollte ihn in Ruhe lassen«, meinte Petra. »Es ist doch klar, dass er nicht mehr leben will.«
    »Er hatte aber Durst!«, sagte Max.
    Harald schüttelte den Kopf: »Nein, wirklich?«
    Max stand auf und floh. Hatten seine Eltern etwa vor, den Alten verhungern und verdursten zu lassen? Schon halb auf der Treppe hörte er, wie die Haustür leise aufgeschlossen wurde. Er drehte sich um und winkte Jenny zu, die im Gegensatz zu ihrer Kollegin auf

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