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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Jenny keine freiwillige Frühaufsteherin war, hatte sie sich fast nie für diese Variante entschieden.
    Es war zu erwarten, dass Falko sie abfangen würde, sobald sie unten aus der Haustür kam. Oder er fuhr ihr nach und brachte das Fahrrad auf einsamer Strecke zu Fall. Sollte sie auf der Polizeiwache anrufen und um Geleitschutz bitten? Sie musste in etwa zehn Minuten aufbrechen, sonst kam sie zu spät, und es gab Ärger. Es war fraglich, ob eine Streife so schnell hier sein konnte und man ihr Anliegen überhaupt ernst nahm. Schließlich konnte sie nur vorbringen, dass sie von einem einschlägig vorbestraften Kerl beobachtet wurde. Auch Max war außer Reichweite, denn an diesem Freitag war er von seinem Vater zu einem Angelausflug eingeladen worden.
    Jenny entschied sich, ein Taxi zu bestellen, das direkt vor ihrer Haustür halten sollte. Vielleicht konnte sie Falko täuschen, wenn sie schnell genug einstieg. Sie band ein Kopftuch um, schlüpfte in einen langen Rock, der die weißen Hosen verbarg, und hängte sich ein Cape um, das ihr neulich eine alte Dame bei Platzregen aufgedrängt hatte.
    Der Trick klappte. Aus der Distanz bemerkte Falko nur eine gebeugte Gestalt, die in ein Taxi kletterte.
    Als Jenny kurz darauf auf dem Hof des Pflegedienstes ankam, in den Firmenwagen umstieg und zu ihren hilfsbedürftigen Alten startete, fühlte sie sich fürs Erste in Sicherheit.
    Willy Knobel stand auf ihrem Plan an drittletzter Stelle. Sie betrachtete ihn mit einer gewissen Rührung, als sie ihn schlafend vorfand. Ob sie das Angebot von Max annehmen und mit den zwei Männern nach Dossenheim ziehen sollte? Was war, wenn die Liebe - die bei jungen Männern oft nur kurzlebig war - erlosch und sie dann mir nichts, dir nichts wieder vor die Tür gesetzt wurde?
    Irgendwann war endlich Feierabend. Diesmal stand kein Fahrrad auf dem Hof des Büros, Jenny hatte die Wahl zwischen dem Firmenauto - gekoppelt mit frühem Aufstehen - oder einem nächtlichen Spaziergang, der viel zu gefährlich war. Die 7 Euro für eine erneute Taxifahrt wurmten sie, und so blieb sie lieber im Wagen sitzen.
    Sie war bereits in der Nähe ihrer Wohnung, als sie direkt unter einer Laterne ein Motorrad sichtete. Sie begriff sofort, drehte und brauste in entgegengesetzter Richtung davon.
    Wo sollte sie jetzt hin? Im Grunde wollte sie ja bloß ihre Ruhe haben und ein paar Stunden ungestört schlafen. Immerhin bestand die Möglichkeit, sich im Büro des Pflegedienstes auf ein mit Kunstleder bezogenes, zweisitziges Sofa zu krümmen. Komfortabler wäre es allerdings, wenn sie den Schlüssel für das Knobeische Haus nutzte. Das Bett von Max stand leer, und er hatte stets versichert, dass seine Eltern niemals unerwartet bei ihm hereinschneiten. Wenn Jenny ganz leise öffnete und hinunterschlich, würde weder der Alte noch die Hausfrau etwas merken.

    Es war inzwischen halb zehn, beim Alten oben schimmerte noch das bläuliche Licht des Fernsehers durch die Ritzen der Türläden. Im Flur schien ebenfalls Licht zu brennen, wahrscheinlich auch im Wohnzimmer. Jenny kreiste einmal um den Block, stellte dann den Dienstwagen mit dem auffälligen Logo des Pflegedienstes in der angrenzenden Straße ab und stahl sich durch den Vorgarten bis zur Haustür. Mit klopfendem Herzen schloss sie auf und huschte lautlos hinunter in das Souterrain. Im Zimmer ihres Freundes knipste sie nur die Nachttischlampe an, zog sich rasch aus und ein T-Shirt von Max an und legte sich hin. In diesem Bett hatte sie schon mehrmals geschlafen, allerdings nie bis zum Morgen. Wohlig streckte sie sich aus. Es roch nach Zigaretten und ein klein wenig nach Schweißfüßen, insgesamt aber vertraut und gut. Jenny fühlte sich endlich geborgen, machte das Licht aus und die Augen zu. Fast spürte sie, dass Max neben ihr lag und sie beschützte.

    Petra konnte, als sie gegen Mitternacht ins Bett sank, trotz Müdigkeit nicht einschlafen. Ihr kam jene Nacht in den Sinn, als Falko auf den gebohnerten Dielen ausgerutscht war und sich beim Treppensturz das Bein gebrochen hatte. Auch heute war sie wieder ohne Harald und Max allein im Haus, denn auf den Schutz des Alten konnte man ja nicht zählen. Hatte sie eigentlich die Eingangstür von innen verriegelt? Sie stand noch einmal auf, um dies nachzuholen. Was aber letzten Endes auch nichts nützte.

    Falko hatte tatsächlich lange vor Jennys Wohnung gelauert, bis ihm endlich aufging, dass sie ihn reingelegt hatte. Er ärgerte sich maßlos und fuhr donnernd und ziellos

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