Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
»Einige meiner besten Freunde..«. nur daß sie in seiner Version nicht Juden, sondern Antisemiten waren.
Doch niemand glaubte ihm. Der Ankläger glaubte ihm nicht, denn das war nicht seines Amtes. Der Verteidiger achtete gar nicht darauf, weil er – im Gegensatz zu Eichmann – an Gewissensfragen nicht interessiert war. Und die Richter glaubten ihm nicht, weil sie zu human, vielleicht auch an die Voraussetzungen ihres Berufes zu sehr gebunden waren, um zuzugeben, daß ein durchschnittlicher, »normaler« Mensch, der weder schwachsinnig noch eigentlich verhetzt, noch zynisch ist, ganz außerstande sein soll, Recht von Unrecht zu scheiden. Sie zogen lieber aus gelegentlichen Lügen den Schluß, Eichmann sei ein Lügner – so entging ihnen das schwerste moralische Problem des Falles, über den sie zu Gericht saßen, ganz abgesehen davon, daß sie aus dem Dilemma, einerseits zugestehen zu müssen, daß »der Angeklagte innerhalb des NS-Regimes keine Ausnahme gewesen sei«, und andererseits behaupten zu müssen, daß die verbrecherische Natur seiner Handlungen ihm wie allen »normal Empfindenden« klar gewesen sei, niemals herauskamen. Tatsache war ja, daß er »normal« und keine Ausnahme war und daß unter den Umständen des Dritten Reiches nur »Ausnahmen« sich noch so etwas wie ein »normales Empfinden« bewahrt hatten. (Für eine gute Übersicht der Rechtsfragen siehe Jürgen Baumann, »Gedanken zum Eichmann-Urteil«, in der »Juristenzeitung«, 1963, Nr. 4.)
Eichmann war am 19. März 1906 in Solingen geboren. Als er im Jerusalemer Gefängnis sich wieder einmal seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Memoirenschreiben, hingab, widmete er diesem erinnerungsschweren Augenblick folgende Worte »Heute, 15 Jahre und einen Tag nach dem 8. Mai 1945, beginne ich meine Gedanken zurückzuführen bis zu jenem 19. März des Jahres 1906, als ich in Solingen, Rheinland, um 5 Uhr morgens in das irdische Leben als Erscheinungsform Mensch eintrat.« (Das Manuskript ist von den israelischen Behörden nicht freigegeben worden. Harry Mulisch ist es geglückt, »eine halbe Stunde lang« diese Autobiographie zu studieren, und das deutsch-jüdische Wochenblatt »Der Aufbau« konnte kurze Auszüge daraus veröffentlichen.) Es entsprach seinen Vorstellungen vom Jenseits, die er seit der Nazizeit nicht geändert hatte (in Jerusalem erklärte er sich als Gottgläubiger in dem Sinn, in dem die Nazis das Wort gebraucht hatten, und weigerte sich, auf die Bibel zu schwören), daß er dieses Ereignis »einem Höheren Sinnesträger« zuschrieb, einer irgendwie mit »der kosmische Bewegung« identischen Wesenheit, der alles menschliche Leben, selbst »höheren Sinnes« bar, unterworfen ist. (Diese Terminologie ist recht aufschlußreich: Gott als »Höheren Sinnesträger« zu bezeichnen heißt, ihm einen Platz in der militärischen Hierarchie zuzuteilen, denn aus den »Befehls empfängern « hatten die Nazis » Befehlsträger « gemacht, um – in Anlehnung an die alten »Träger böser Kunde« – auszudrücken, welche Last der Verantwortung und Bedeutung diejenigen zu tragen hatten, die Befehle ausführten. Obendrein war Eichmann – wie alle, die mit der »Endlösung« zu tun hatten – auch offizieller »Geheimnisträger«, was seinem Selbstbewußtsein zweifellos zugute kam.) Obwohl Eichmann zu Spekulationen solcher Art nicht neigte, ist ihm der Zusammenhang zwischen dem Höheren Sinnesträger, der Befehle gibt, und dem Befehlsträger, der sie ausführt, nicht entgangen. Als er in einem amerikanischen Gefangenenlager schließlich »den Sinn des Lebens« erkannte, da schrieb er, wie Mulisch berichtet: »Nun war ja wieder alles in Ordnung, mein Wesen konnte sich wieder beruhigen, denn ich war ja nicht bar jeglicher Führung, sondern ich wurde ja wie eh und je weitergeführt.« Worauf er beruhigt auf die andere, mehr auf der Hand liegende Ursache seiner Existenz zu sprechen kommt, auf seine Eltern: »Schwerlich hätten [sie] sich so über alle Maßen über dieses Ereignis gefreut, wie das üblicherweise bei der Ankunft des Erstgeborenen der Fall zu sein pflegt, hätten sie damals in meiner Geburtsstunde die Kummer- und Leidfäden jener Unglücksnorne sehen können, die sie, der Glücksnorne wohl zum Trotz, in mein Leben wob. Aber ein gütiger, undurchsichtbarer Schleier des Schicksals verwehrte meinen Eltern den Blick in die Zukunft.«
»Kummer- und Leidfäden« zeigten sich früh genug, nämlich bereits in der Schule. Eichmanns Vater, zunächst
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