Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
übertragen oder angeboten. Seine Mutter war gestorben, als er 10 Jahre alt war, und sein Vater hatte wieder geheiratet. Ein Cousin seiner Stiefmutter – er sagte »Onkel« zu ihm –, Präsident des Österreichischen Automobilklubs und mit der Tochter eines jüdischen Kaufmanns in der Tschechoslowakei verheiratet, benutzte seine Beziehung zu dem Generaldirektor der österreichischen Vacuum Oil Company, einem jüdischen Herrn Weiss, um seinem armseligen Verwandten einen Job als Reisevertreter zu vermitteln. Eichmann war gebührend dankbar, die Juden in seiner Familie erwähnte er als einen seiner »privaten Gründe«, kein Antisemit geworden zu sein. Noch 1943 oder 1944, als die »Endlösung« in vollem Gange war, hatte er jene Hilfe nicht vergessen: »Die Tochter aus dieser Ehe – glaube ich – war nach den Nürnberger … Gesetzen – Halbjüdin … Sie … kam noch zu mir … 1943, um mit meiner Genehmigung in die Schweiz ausreisen zu können. Ich habe es natürlich genehmigt, und dieser selbe Onkel kam auch zu mir, um für irgendein Wiener Juden-Ehepaar zu intervenieren. Ich will damit nur sagen, von Haus aus kannte ich keinen Haß gegen Juden, denn die ganze Erziehung durch meine Mutter und meinen Vater war streng christlich, und meine Mutter hatte durch ihre z. T. jüdische Verwandtschaft eben hier andere Vorstellungen, wie sie an sich landläufig in SS-Kreisen üblich gewesen waren.«
Eichmann gab sich die größte Mühe, diesen Punkt zu beweisen: daß er niemals gegen seine Opfer irgendwelche feindseligen Gefühle gehegt, ja, daß er daraus auch nie ein Geheimnis gemacht hätte. »Ich sagte es Dr. Löwenherz [Leiter der jüdischen Gemeinde Wien] genau wie Dr. Kastner [Vizepräsident der zionistischen Organisation in Budapest], ich sagte es, glaub’ ich, jedem, jeder hat’s einmal gehört, meine Männer wußten es. Ich hatte schon in der Volksschule einen Schulfreund, bei dem ich die freie Zeit verbrachte und er bei uns zu Haus; eine Linzer Familie namens Sebba … [Als wir uns] das letztemal trafen, wir gingen zusammen in Linz auf der Landstraße spazieren, da trug ich schon das Hoheitszeichen der NSDAP im Knopfloch, und er fand nichts dabei.« Wäre Eichmann nicht so zimperlich gewesen oder das Polizeiverhör (das auf Kreuzverhör im allgemeinen verzichtete, wohl um seine weitere Mitarbeit zu sichern) nicht ganz so diskret, hätte sich noch ein anderer Aspekt seiner«Vorurteilslosigkeit« gezeigt. Er scheint nämlich in Wien, wo er so außerordentlich erfolgreich die »forcierte Auswanderung« der Juden organisierte, eine jüdische Geliebte gehabt zu haben, eine »alte Flamme« aus Linz. Rassenschande – Geschlechtsverkehr mit Juden – war wohl das größte Verbrechen, das ein Mitglied der SS begehen konnte, und obwohl während des Krieges Vergewaltigungen jüdischer Mädchen an der Front zum beliebten Zeitvertreib wurden, war es doch ganz und gar nicht üblich, daß ein höherer SS-Offizier eine Affäre mit einer Jüdin hatte. So hatten Eichmanns wiederholte heftige Ausfälle gegen Julius Streicher, den pathologisch obszönen Herausgeber des »Stürmer«, und gegen dessen pornographischen Antisemitismus vielleicht wirklich »persönliche Gründe« und gingen tiefer als die übliche Verachtung eines »aufgeklärten« SS-Mannes gegenüber den vulgären Emotionen der unteren Parteiorgane, die es in »Sachlichkeit« nicht mit der Elite aufnehmen konnten.
Die 5½ Jahre bei der Vacuum Oil Company haben wohl zu den glücklicheren Zeiten in Eichmanns Leben gehört. Während überall die Arbeitslosigkeit wütete und kein Mensch Geld hatte, bezog er ein gutes Einkommen und konnte sogar noch bei seinen Eltern leben, wenn er nicht unterwegs war. Das Datum, an dem dieses Idyll zu Ende ging – Pfingsten 1933 –, gehört zu den wenigen, an die er sich immer erinnert hat. Eigentlich war es schon etwas früher bergab gegangen. Ende 1932 wurde er unerwartet von Linz nach Salzburg versetzt, was ihm sehr »gegen den Strich ging«: »Mich freute die Arbeit nicht mehr, und ich hatte keine Lust mehr zu verkaufen, zu besuchen, ging meinem Tagewerk aber nach.« Solch plötzliche Verluste von Arbeitsfreude widerfuhren Eichmann immer wieder. Am schlimmsten war das, als er von dem Führerbefehl über die »physische Ausrottung der Juden« und seine eigene Rolle dabei unterrichtet wurde. Auch dies kam ganz unerwartet: »An so eine Gewaltlösung hatte ich selbst nie gedacht gehabt«, und seine Reaktion beschrieb er mit den
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