Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Buchhalter für die Straßenbahn- und Elektrizitätsgesellschaft in Solingen und nach 1931 Direktor der gleichen Gesellschaft im österreichischen Linz, hatte 5 Kinder, 1 Tochter und 4 Söhne, von denen anscheinend nur Adolf, der älteste, außerstande war, die Realschule zu beenden – auch auf dem Polytechnikum, in das er dann gesteckt wurde, hat er kein Schlußexamen gemacht. Sein Leben lang täuschte Eichmann seine Umwelt über seine frühen »Leiden«, indem er sich hinter den ehrenhafteren finanziellen Mißgeschicken seines Vaters versteckte. Doch in Israel, in den ersten Sitzungen mit Polizeihauptmann Avner Less, der ihn etwa 35 Tage lang verhörte und dann 3564 Schreibmaschinenseiten, die Nachschrift von 76 Tonbändern, vorlegte, war Eichmann in Hochstimmung, voll Begeisterung über diese einmalige Gelegenheit, »… alles, was ich weiß, von mir zu geben« und sich bei dieser Gelegenheit gleich den Rang des aussagebereitesten Angeklagten aller Zeiten zu erwerben. (Seine anfängliche Begeisterung wurde bald gedämpft, wenngleich sie niemals erlosch, als er mit konkreten Fragen und Dokumenten konfrontiert wurde.) Als besten Beweis für sein ursprünglich grenzenloses Zutrauen – an Hauptmann Less, der selbst Harry Mulisch erklärt hat: »Ich war Herrn Eichmanns Beichtvater«, war es augenscheinlich verschwendet – mag man es ansehen, daß er zum erstenmal im Leben seine frühen Fehlschläge zugab, obwohl er sich doch darüber klargewesen sein muß, daß er damit einer ganzen Reihe seiner eigenen Eintragungen in wichtige offizielle Nazidokumente widersprach.
Nun, es waren alltägliche Fehlschläge: Da er »nicht gerade der fleißigste Schüler gewesen war« – noch, wie man annehmen darf, der begabteste –, nahm ihn sein Vater zuerst von der Realschule und dann auch vom Polytechnikum lange vor dem Abschluß. Die Berufsangabe, die auf seinen sämtlichen offiziellen Dokumenten erscheint – Maschinenbauingenieur hatte ungefähr ebensoviel mit der Wirklichkeit zu tun wie die Behauptung, daß er in Palästina geboren sei und fließend hebräisch und jiddisch spräche – blanke Lügen, die Eichmann seinen SS-Kameraden, aber auch seinen jüdischen Opfern mit Vorliebe erzählte. Auf der gleichen Ebene liegen seine wiederholten Behauptungen, aus seiner Stellung als Reisender für die Vacuum Oil Company in Österreich wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP entlassen worden zu sein. Die Version, die er Hauptmann Less erzählte, war nicht so dramatisch, wahrscheinlich aber auch nicht ganz der Wahrheit entsprechend: Er sei entlassen worden, weil unverheiratete Angestellte damals, während der Arbeitslosigkeit, als erste ihre Stellung verloren. (Diese zunächst plausible Erklärung ist deshalb nicht befriedigend, weil er seine Stellung im Frühjahr 1933 verlor, als er bereits zwei Jahre mit Veronika [Vera] Liebl verlobt war, die später seine Frau wurde. Warum hat er sie nicht früher geheiratet, als er noch eine gute Stellung besaß? Er heiratete schließlich im März 1935, vielleicht weil Junggesellen in der SS noch erheblich größere Beförderungsschwierigkeiten hatten als in der Vacuum Oil.) Wichtigtuerei und Angeben waren ihm offenbar früh zur lieben Gewohnheit geworden.
Während der Knabe Eichmann in der Schule nicht vorankam, verließ sein Vater die Straßenbahn- und Elektrizitätsgesellschaft und machte ein eigenes Geschäft auf. Er kaufte ein kleines Bergwerksunternehmen und brachte dort seinen nicht gerade vielversprechenden Sprößling als einfachen Arbeiter unter, bis er für ihn schließlich eine Stelle in der Verkaufsabteilung der Oberösterreichischen Elektrobau AG fand, in der Eichmann über zwei Jahre lang blieb. Er war jetzt etwa 22 Jahre alt und ohne jede Aussicht auf eine vernünftige Laufbahn; das einzige, was er vielleicht gelernt hatte, war, zu verkaufen. Da hatte er plötzlich zum erstenmal Glück: nur erzählte er auch dies bedeutsame Ereignis in zwei ganz verschiedenen Versionen. In einem handgeschriebenen Lebenslauf, den er 1939 für seine Beförderung in der SS einreichte, beschrieb er es wie folgt: »In den Jahren von 1925 bis 1927 war ich als Verkaufsbeamter der ›Oberösterr. Elektrobau AG‹ tätig. Diese Stelle verließ ich auf eigenen Wunsch, da mir von der Vacuum Oil Company AG in Wien die Vertretung für Oberösterreich übertragen wurde.« Das Stichwort ist hier »übertragen« – denn nach dem, was er Hauptmann Less dann in Israel erzählte, hat ihm niemand irgend etwas
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