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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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gleichen Worten: »Damit schwand auch bei mir alles, alle Arbeit, alle Bemühungen, alles Interesse; da war ich gewissermaßen ausgeblasen.« So ein »Ausblasen« muß es auch 1932 in Salzburg gegeben haben, und aus seiner eigenen Darstellung geht hervor, daß er nicht sehr überrascht gewesen sein kann, als er entlassen wurde, obgleich man eben nicht zu glauben braucht, daß er »sehr glücklich« über die Kündigung gewesen war.
    Aus was für Gründen auch immer – das Jahr 1932 sollte ein Wendepunkt in seinem Leben werden. Im April dieses Jahres trat er in die NSDAP ein und wurde auch gleich Mitglied der SS auf Grund der Aufforderung von Ernst Kaltenbrunner, damals junger Rechtsanwalt in Linz und später Chef des Reichssicherheitshauptamts (im folgenden RSHA genannt), in dem Eichmann im Amt IV, einem der sechs Ämter, dann schließlich als Leiter der Sektion B-4 unter dem Kommando von Heinrich Müller landete. Vor Gericht machte Eichmann den Eindruck eines typischen Kleinbürgers, und dieser Eindruck bestätigte sich mit jedem Satz, den er sprach oder schrieb. Aber der Eindruck täuschte: er war eigentlich der deklassierte Sohn aus solidem bürgerlichen Hause, und es war bezeichnend für sein gesellschaftliches Absinken, daß, obgleich sein Vater mit Kaltenbrunner senior gut befreundet war – Kaltenbrunners Vater war ebenfalls Anwalt in Linz –, die Beziehung der beiden Söhne zueinander nicht nur kühl blieb, sondern Kaltenbrunner Eichmann ganz unmißverständlich von oben herab behandelte. Eichmann hatte sich immer schon, lange vor seinem Eintritt in die NSDAP und SS, nur in Bünden oder Vereinen wohl gefühlt, und der 8. Mai 1945, das Datum der deutschen Niederlage, bedeutete für ihn persönlich vor allem, daß er »nunmehr ein führerloses und schweres Eigenleben zu führen habe, daß ich mir an keiner Stelle irgendwelche Richtlinien geben lassen konnte, daß von keiner Seite Befehle und Weisungen kamen, keinerlei einschlägige Verordnungen heranzuziehen waren – kurz, ein bisher nicht gekanntes Leben sich auftat«. Als Kind schon hatten ihn seine ganz unpolitischen Eltern beim »Christlichen Verein Junger Männer« eingetragen, von wo aus er später in den »Wandervogel« ging. Während der vier erfolglosen Jahre auf der Realschule war er in den »Jungfrontkämpferverband« eingetreten, die Jugendgruppe der »Deutsch-Österreichischen Frontkämpfervereinigung«, die, obwohl leidenschaftlich prodeutsch und antirepublikanisch, von der österreichischen Regierung geduldet wurde. Als Kaltenbrunner ihm vorschlug, in die SS einzutreten, wollte er gerade Mitglied eines sehr andersartigen Vereins werden, nämlich der Freimaurerloge Schlaraffia, die er dem Hauptmann Less wie folgt erklärte: »Schlaraffia war eine Vereinigung von Kaufleuten, Ärzten, Schauspielern, Beamten usw., die sich zusammentaten zur Fröhlichkeit, zur Heiterkeit … Es mußte jeder alle Zeitlang einen Vortrag halten, dessen Tenor Humor, feinen Humor beinhalten mußte …« Kaltenbrunner machte Eichmann klar, daß er diese humorvolle Gesellschaft aufgeben müsse, weil er als Nazi nicht Freimaurer sein könnte – damals ein völlig unbekanntes Wort für Eichmann. Die Wahl zwischen der SS und Schlaraffia wäre ihm vielleicht schwergefallen – aber »durch Zufall flog ich … von selber raus«; er hatte nämlich eine Sünde begangen, die ihn noch im israelischen Gefängnis erröten ließ wie seinerzeit, als er »vor Arger und Scham sicherlich rot über beide Ohren [wurde], denn etwas, was entgegengesetzt meiner Erziehung war, das passierte, nämlich ich versuchte, die Tischgesellschaft zu einem Wein einzuladen, das als Jüngster, und damit hatte ich mir das Grab gegraben«.
    So blies ihn der Sturmwind der Zeit aus dem Schlaraffenland – genauer gesagt, aus der Gesellschaft respektabler Spießbürger mit Doktortiteln, gesicherten Karrieren und »feinem Humor«, deren größtes Laster wahrscheinlich ein Hang zu dummen Streichen war – in die Marschkolonnen des Tausendjährigen Reiches, das genau 12 Jahre und 3 Monate dauerte. Eins steht fest – er ist nicht aus Überzeugung in die Partei eingetreten, auch ist nie ein überzeugtes Parteimitglied aus ihm geworden; er wurde vielmehr, wie er vor Gericht aussagte, »wider mein Erwarten und auch ohne, daß ich den Vorsatz gefaßt hatte, gewissermaßen in die Partei vereinnahmt, wie ich das geschildert hatte. Das ging so schnell und so plötzlich …« Er hatte keine Zeit und noch weniger Lust,

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