Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
erhängen. Dies aber hieße nicht, daß er etwas bereue: »Reue ist etwas für kleine Kinder.« (Sic!)
Selbst unter erheblichem Druck seines Anwalts änderte er diese Haltung nicht. In einer Diskussion über Himmlers Angebot von 1944, eine Million Juden gegen 10 000 Lastwagen zu tauschen, wurde Eichmann von der Verteidigung über seine eigene Rolle in diesem Unternehmen gefragt: »Herr Zeuge, haben Sie bei den Verhandlungen mit Ihren Vorgesetzten auch darauf hingewiesen, daß Sie Mitleid mit den Juden hätten und daß man doch helfen müsse?« Eichmann antwortete: »Ich stehe unter Eid und habe wahrheitsgemäß auszusagen. Ich habe nicht diese Sache aus Mitleid gemacht …« – was der Wahrheit entsprochen hätte, wenn Eichmann überhaupt etwas »gemacht« hätte. Aber was er dann sagte, stimmte: »Meine Gründe habe ich eingangs bereits geschildert«, und sie waren die folgenden: Himmler habe einen seiner eigenen Leute nach Budapest geschickt, um Angelegenheiten jüdischer Auswanderung zu bearbeiten. (Denn Emigration war zur Zeit der Deportationen ein blühendes Geschäft geworden: für enorme Summen konnten Juden mitunter ihren Weg nach draußen erkaufen. Aber das erwähnte Eichmann nicht.) Er, Eichmann, habe sich natürlich geärgert, daß hier Emigrationsangelegenheiten von einer »polizeifernen Person« behandelt wurden, während er, der dies als »seine Domäne« betrachtete, die »elende Arbeit« der Deportationen durchführen mußte. Da habe er zu »brüten« begonnen und zu überlegen, wie er »die Auswanderungsangelegenheit wieder an sich reißen« könne.
Den ganzen Prozeß hindurch suchte Eichmann – meist ohne Erfolg – zu erklären, in welchem Sinne er schuldig sei, wenn er im Sinne der Anklage nicht schuldig war. Die Anklage unterstellte nicht nur, daß es sich um »vorsätzliche« Verbrechen handelte – dies bestritt er nicht –, sondern auch, daß er aus niedrigen Motiven und in voller Kenntnis der verbrecherischen Natur seiner Taten gehandelt habe. Beides leugnete er auf das entschiedenste. Was die niedrigen Motive betraf, so war er sich ganz sicher, daß er nicht »seinem inneren Schweinehunde« gefolgt war; und er besann sich ganz genau darauf, daß ihm nur eins ein schlechtes Gewissen bereitet hätte: wenn er den Befehlen nicht nachgekommen wäre und Millionen von Männern, Frauen und Kindern nicht mit unermüdlichem Eifer und peinlichster Sorgfalt in den Tod transportiert hätte. Mit diesen Versicherungen sich abzufinden war nicht ganz einfach. Immerhin war ein halbes Dutzend Psychiater zu dem Ergebnis gekommen, er sei »normal« – »normaler jedenfalls, als ich es bin, nachdem ich ihn untersucht habe«, soll einer von ihnen gesagt haben; ein anderer fand, daß Eichmanns ganzer psychologischer Habitus, seine Einstellung zu Frau und Kindern, Mutter und Vater, zu Geschwistern und Freunden, »nicht nur normal, sondern höchst vorbildlich« sei. (Hausners spätere Eröffnung in einer Artikelserie in der »Saturday Evening Post« über Dinge, die er »im Prozeß nicht vorbringen konnte«, widersprach der Auskunft, die man inoffiziell in Jerusalem bekommen hatte. Die Psychiater, so hieß es auf einmal, hätten behauptet, daß Eichmann »ein Mann mit einem gefährlichen und unersättlichen Mordtrieb« gewesen sei, »eine perverse, sadistische Persönlichkeit«. Sollte dies stimmen, dann hätte er ins Irrenhaus gehört.) Der Pfarrer schließlich, der Eichmann regelmäßig im Gefängnis besuchte, nachdem sein Revisionsgesuch vor dem Obersten Gericht verhandelt, aber das Urteil in zweiter Instanz noch nicht ergangen war, versicherte, Eichmann sei »ein Mann mit sehr positiven Ideen«, was denn wohl auch alle Welt beruhigen dürfte. Die Komödie der Seelenexperten konnte sich leider auf die traurige Tatsache berufen, daß dies tatsächlich kein Fall von moralischer, geschweige denn von gesetzlicher Unzurechnungsfähigkeit war. Ja, es war noch nicht einmal ein Fall von wahnwitzigem Judenhaß, von fanatischem Antisemitismus oder von besonderer ideologischer Verhetzung. »Persönlich« hatte er nie das geringste gegen die Juden gehabt; im Gegenteil, er besaß gute »private Gründe«, kein Judenhasser zu sein. Gewiß, unter seinen engsten Freunden waren fanatische Antisemiten, zum Beispiel László Endre, der ungarische Staatssekretär für Politische (Jüdische) Angelegenheiten, der 1946 in Budapest gehängt wurde; wenn man Eichmann glaubte, war das eben nur eine Abwandlung des bekannten Themas:
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