Eiertanz: Roman (German Edition)
und Erdbeeren, neuerdings bevorzugt von Tofu und …
»Picco!« Ich sprang vom Tisch und stürzte an meiner Chefin vorbei auf das Haus zu.
Hinter mir Schritte, aber ich achtete nicht darauf, ich stürmte durch den Flur, heftig gegen die Enge meines Dirndls anatmend, polterte die Treppe hoch zum ersten Stock, dann die steileren, noch nicht ganz freigeräumten Stufen zum Dachboden.
»Gina, wart doch!« Quirins Stimme hinter mir, aber ich konnte nicht warten, ich musste Picco retten. Ich rutschte über den Boden, stolperte über einen liegenden weißen Pelz mit Bärenkopf; es war Kunstpelz, wir hatten ihn gestern entdeckt, ich fing mich wieder, rannte vorbei an glotzenden Eberköpfen zu der Leiter, die an die weit offene Dachluke gelehnt war. Wenn Lutz hier durchgepasst hatte, würde ich mich auch hindurchzwängen, selbst im Kondomdirndl.
»Gina! Lass mich das machen!«, rief Quirin, aber ich war schon durch das Fenster geklettert, hockte auf dem überwältigend schrägen Dach.
Nicht nach unten schauen! Auf keinen Fall! Ich konzentrierte mich auf Picco, der über dem Transparent kreiste, ab und zu pfiff. Großtuerisch. Und ängstlich. Was er, typisch Picco, absolut nicht zugeben konnte. Seine Kreise wurden weiter, umfassten den Schornstein, einen Moment stieg er auf, kreischend, dann sank er wieder ab, anscheinend überwältigt von seiner eigenen Courage.
»Picco! Hier bin ich! Mama liab, Picco!«
Er schien mich nicht zu sehen, irrte zwischen Schornstein und Transparent herum. Unten fragte Christiane: »Sollen wir einen Arzt holen?« Was wollte sie jetzt mit einem Arzt? Außerdem war der Tierarzt doch schon hinter mir auf dem Dach.
»Gina, bitte, komm! Lass mich das machen!«
Picco schraubte sich höher. Es half nichts. Ich musste es tun. Den Blick zum Himmel gerichtet, erhob ich mich, mit ausgebreiteten Armen.
»Picco! Komm hierher! Ich versprech dir, du musst nie mehr in den Käfig! Du kannst überall klecksen, du bekommst für jeden Klecks sogar eine Belohnung! Wie wär’s, Piccolein? Erdbeeren und Sonnenblumenkerne für jeden Klecks? Oder Waldfrüchte und Datteln aus dem Biomarkt? Was wünschst du dir? Vielleicht ein Weibchen? Picco, du darfst es dir selbst aussuchen, im Zoogeschäft! Oder willst du dir ein Weibchen in Afrika aussuchen, sollen wir mit dir in den Regenwald fahren?«
Er hatte mich entdeckt, flog zögernd eine Kurve.
»Picco, willst du einen eigenen kleinen Regenwald im Haus? Mit deinem liebsten Spielzeug?«
Quirin stand jetzt neben mir, griff vorsichtig nach meinem Ellenbogen.
»Gina, du trägst hohe Schuhe! Rein mit dir!«
Aber ich rührte mich nicht, und zusammen standen wir auf dem Dach, versuchten, nicht zu schwanken, sahen zu, wie Picco uns umkreiste, und machten uns vor ihm nach allen Regeln der Papageienanlockungskunst lächerlich. Quirin gurrte, pfiff und schnalzte, ich malte immer attraktivere Papageiendamen aus, die wir für ihn finden wollten, prophezeite Picco ein ausgefülltes Sexleben bis in alle Ewigkeit. Und seine Kreise wurden enger, während er alle Register seiner Sprechkunst zog, in allen Stimmlagen.
»Picco hot oan fahrn lassn, hehehe, du bist sooo guuut! Die Tütn, Kruzifix, Picco, die Tütn, zieh d’Latschn aus, wannsd reinkimmst, Hundskrüppe, gschtinkata, die Rute, Picco, siehst du die Rute!«
»Picco, es tut mir leid, ich werde nie mehr … Komm doch, kommkommkomm. In der Küche ist auch bestimmt noch Tofu, frischer Tofu!«
Anscheinend war Tofu das Zauberwort. Um meine Ohren ein Rauschen. Ein Bauarbeiterpfiff. Und Krallen, die sich in Julias sorgsam zusammengestellte, eingerollte Pastellkondome gruben.
»Picco liab?«
»Ja, Picco, ganz liab.« Plötzlich verschwammen Dach und Himmel, Piccos Gurren schien aus einer anderen Welt zu kommen, wie durch Nebel spürte ich den Druck von Quirins Hand auf meiner freien Schulter, hörte, wie er mich flüsternd anwies, mich hinzuhocken, mich nicht mehr zu rühren und schon gar nicht nach unten zu schauen. Benommen betrachtete ich die Wolken, dachte einen Moment an Franzis weißblaue Rauten und ob das, was ich auf ihrem Overall gesehen hatte, tatsächlich kleine Weißwürstchen gewesen waren, dann war Quirins Gesicht dicht vor meinem, konzentriert, eine steile Falte auf seiner Stirn. Ein Papagei wurde von meiner Schulter gepflückt. An meinem Ohr eine Stimme, die mir liebenswürdig vorschlug, jetzt zurückzuklettern, so vorsichtig wie möglich, und, wenn es irgendwie ginge, nicht vom Dach zu fallen, ich würde noch
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