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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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mehr legen wollte.
    Ich stand am Tischrand und schaute über die Köpfe hinweg. Allmählich erreichte die Erkenntnis auch meine vorderen Hirnregionen. Susn war nicht Quirins Freundin. Was immer sie war und welche Gründe sie hatte, ihm mitten im See um den Hals zu fallen. Ungläubig, selig und vermutlich auch dümmlich grinste ich in die klatschende, johlende Menge. Als der Applaus sich gelegt hatte, wiederholte Julia noch einmal voller Stolz, krächzend und knatternd durchs Megaphon, über den gesamten Platz hinweg: »Gina, im Kondomdirndl!«
    In diesem Moment sah ich sie. Mit schnellen Schritten eilte sie auf die Bühne zu. Sie trug ihr bestes Geschäftskostüm. Die Haare lagen perfekt. Um den Hals hatte sie ein Seidentuch geschlungen. Nichts an ihrer Erscheinung ließ an einen zu großen Herrenbademantel oder gemeinsames Liegen an einer Kuh denken. Sie bahnte sich einen Weg durch den Sperrmüll, vorbei an den entfesselten, auf Stühlen und Schränkchen hottenden Zuschauern, vorbei an Franzi, die in Özcans Armen in wildem Walzer über den Platz fegte, in einem durch und durch goldenen Overall, auf dem etwas Weißsilbernes glitzerte. Nach und nach hörten die verzückt Tanzenden auf, sich zu bewegen, sahen Christiane nach, der Chor verstummte, die Kapelle spielte einige Takte allein weiter, der Walzer versandete. Alle starrten Christiane an, verfolgten ihren Weg zur Bühne.
    »Gina! Wie … wie siehst du denn aus?« Sie blieb vor mir stehen, eine Augenbraue hochgezogen.
    Schweigen.
    Ich schnappte nach Luft, gegen die Grenzen meines Dirndlgefängnisses, aber bevor ich ein Wort herausbekam, sagte Therese: »Guad schauts aus. Auch wenn des Dirndl ned aus meinem Laden is.«
    Christiane ignorierte Thereses Feststellung ebenso wie die folgenden Zustimmungen aus dem Publikum, fixierte mich. »Hatten wir nicht ausgemacht, dass du hier die Stellung hältst? Meiner Annahme nach bedeutet das nicht, dass du auf dem Tisch tanzt, in einer Aufmachung, die …«
    »Ich habe versucht, auf das Haus aufzupassen, glaub mir! Du warst doch nicht da!«
    »Ja, des hats wirklich!«
    »Sie hat alles getan!«
    »Sie ist a patentes Madl!«
    »Des sog i doch scho die ganze Zeit!«
    »Nü, das haddse aber nisch verdient, die Guddsde!«
    Die Unterstützung, die mir von allen Seiten entgegenschallte, brachte Christiane einen Moment aus dem Konzept. Aber sie fasste sich sofort wieder, schaute in die Runde.
    »Schön, dass Sie alle Ihren Spaß gehabt haben. Feiern Sie ruhig weiter. Gina, wenn du so gut wärst, diese … diese Aufmachung auszuziehen und mir zu helfen. Vielleicht wären ja auch die werten Herren von der Polizei, die hier fröhlich mitfeiern, so nett, diesen Stacheldraht vor meinem Haus zu entfernen.«
    Ich rieb mir die Augen, fassungslos.
    »Chris. Du hast mich hier allein gelassen. Wo warst du? Gestern Abend? Und heute Nacht?«
    »Entschuldige, aber dieses Gespräch führen wir vielleicht lieber unter vier Augen, ja? Wenn du jetzt so gut sein würdest, da herunterzukommen, du könntest diese Transparente abhängen. Hat hier jemand vielleicht Handschuhe?«
    »I lass niemanden ins Haus, und wenn ich mich wieder ankettn muss!«
    »Oh Gott, fängt das schon wieder an?«, murmelte Susn, und Quirin, eine Hand auf meiner Schulter, sagte leise: »Gina, du musst das nicht tun.«
    »Bitte, Schorschelchen, es ist ein Notfall.«
    Meine Chefin sah mich an. Ich fürchtete schon, dass mein Körper vor mir auf das gefürchtete N-Wort reagieren und von der Bühne springen würde, noch während ich die Wunder, die Christiane benötigte, meinen Job, den ich verlieren würde, und ihre Großmut, was Ralli anging, gegen ihre Ignoranz und die Unverschämtheit von Strobl aufrechnete.
    Aber mein Körper tat nichts, er blieb einfach stehen.
    Irgendwer oder irgendwas hatte die Notfall-Konditionierung in meinem Hirn gelöscht. Ich stand stumm, schaute an dem Haus empor, in dem ich so lange geschuftet, gegen hereinprasselnde Küchenrollen, hervorkrabbelnde Käfer, Piccos Eigenheiten und andere Tücken gekämpft hatte. Die harmlose, so einladend heimelige Haustür, die jetzt weit offen stand, ebenso wie das Küchenfenster. Der blumenbewachsene Balkon. Das Dach mit dem Transparent »Rettet die Romantik«. Über dem ein Vogel kreiste.
    Ein recht großer Vogel. Grau. Ein Vogel, der pfiff wie ein Papagei. Ein Graupapagei, beheimatet in den afrikanischen Regenwäldern, der sich von Früchten und Blumenblättern ernährte, aber noch lieber von Sonnenblumenkernen

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