Eifel-Feuer
die Hintertür zum General, und es war Punkt 15 Uhr, als ich auf Hochacht zurollte und nach links unter die gewaltigen Buchen einbog.
Natürlich habe ich mich später gefragt, ob ich geahnt hatte, welch blutige Katastrophe mich erwartete. Ich habe es nicht geahnt. Es war ein heißer makelloser Sommertag. Dinah war gegangen, und ich flüchtete jetzt vor mir selbst. Ich war beileibe nicht gutgelaunt und hatte allen Grund, die Welt zu verfluchen. Ahnungen hatte ich schon deshalb nicht, weil meine Realität ziemlich beschissen war und die Aussicht auf Besserung gleich Null. Es gibt eben Tage, da bin ich ein Magnet für Unglück. Dies war so ein Tag.
Hier, oberhalb Adenaus, hatte der General Otmar Ravenstein seine Jagdhütte in den Dom achtzigjähriger Buchen gesetzt. Es war ein kaum glaublicher Ort, einer, der selbst Atheisten ganz stumm machte.
Das Haus war ein zwölf Meter langer und acht Meter breiter Bau, mit dem Giebel zur Straße hingesetzt, vollkommen aus Holz. Die Leute in der Gegend erzählten voll Hochachtung, der General habe unnachgiebig darauf bestanden, wegen des Baus keinen einzigen Baum zu fällen, was ihm mit zwei Ausnahmen auch gelungen war. Die beiden Buchen hatten weichen müssen, damit ein kleiner Baukran seine Arbeit aufnehmen konnte. Das Ergebnis war ein unaufdringliches Haus mit einem ganz eigenen Charakter. Es wirkte so, als sei es direkt aus dem Boden gewachsen. Sein Garten war der Wald, und wenn ich je eine Idylle beschreiben müßte, würde es dieses Haus sein.
Die Sonne tanzte auf dem Waldboden, formte große, goldene Teiche. Die hohen Bäume rauschten sanft, sonst war es unwirklich still. Zwischen großen Moospolstern waren Frauenfarn und Adlerfarn hochgeschossen und bildeten hellgrüne Zungen gegen das leicht dämmrige Licht. Hohe Halme des Nickenden Perlgrases wiegten sich sanft. Hinter der Haustür, die grundsätzlich offenstand, wenn der General im Haus war, gelangte man in eine Art Windfang, der gleichzeitig als Garderobe diente. Das Haus bestand aus zwei sehr großen Räumen, einer im Erdgeschoß, einer im Dachgeschoß. Unten waren vom Wohnraum zwei kleine Gelasse abgetrennt: eine Küche, ein Bad. Erdgeschoß und Dachgeschoß waren mit einer Wendeltreppe verbunden, deren Stufen aus fünf Zentimeter dicken Ulmenbohlen geschnitten waren.
»Hallo«, rief ich.
Keine Antwort. Ich stand im Windfang, wollte nicht so einfach weiter in das Haus hineingehen. Ich dachte an die kleine Terrasse auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses, machte kehrt und ging vorne um den Bau herum. Die drei großen doppelflügeligen Türfenster des Wohnraums standen weit offen, davor auf der kleinen Terrasse aus Vulkanasche befand sich ein schöner Holztisch, darauf eine Flasche Rotwein, daneben ein gebrauchtes Glas.
»Wo sind Sie?«
Wieder keine Antwort. Ich ging zur ersten Fenstertür und sah als erstes seine Beine. Er trug dunkelblaue Trainingshosen und weiße Laufschuhe an den nackten Füßen.
»Ist Ihnen schlecht?« rief ich sehr laut und machte den nächsten Schritt in die Tür. Dann glaubte ich: Er ist es gar nicht!, und eine warme kleine Welle der Erleichterung durchströmte mich. Das dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Natürlich war es der General, aber ein brutaler Tod hatte ihn vollkommen fremd gemacht. Das ganze Gesicht war blutverschmiert, und mitten in dieser Fläche der Gewalt lag kaum erkennbar, schräg verzogen der Mund. Und in diesem Mund gab es einen hellen Punkt – zwei Zähne im Oberkiefer. Das wirkte aufdringlich obszön. Voller Entsetzen begriff ich, daß der ganze Mann blutverschmiert war, in einem See aus Blut schwamm, und kurioserweise dachte ich flüchtig: Es ist unmöglich, daß soviel Blut in einem menschlichen Körper ist.
Ich drehte mich ab und stolperte quer über die kleine Terrasse, um mich zu übergeben.
Es war immer noch still unter den hohen Bäumen, als ich mich ein wenig beruhigt hatte. Das Bild war immer noch das gleiche – sonnengoldene Lichtflecken in einem Dom aus hochragenden Buchen. Aber alles hatte sich verändert, alles war härter, sogar das Licht. Ich ging ganz langsam zu der Leiche des Generals zurück. Jetzt war ich in der Lage, einigermaßen nüchtern hinzuschauen, um herauszufinden, was geschehen sein könnte. Mein ganzes Leben lang habe ich in Krisen und Krieg so reagiert. Erst wie das Sensibelchen, das ich nun einmal bin, und dann durchaus fähig, bis zu einer an Zynismus erinnernden Grenzlinie Fakten zu sammeln.
»General«, sagte ich,
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