Eifel-Feuer
den Lehnen der schwarzen Sessel vor dem Kamin. Ich bin jetzt zwanzig Minuten hier, muß also gegen exakt 15 Uhr hier eingetroffen sein.«
Ich ging von Raum zu Raum und diktierte weiter. »Die Szenerie ist durchaus wie immer, wenn der General hier ist. Hinter dem Haus stehen sein schwarzer Porsche Carrera und sein kleiner Suzuki-Jeep. In beiden Fahrzeugen steckt der Zündschlüssel. Alle Außentüren des Hauses standen auf, was bei Ravenstein vollkommen normal war.« Ich kam auf dem Rückweg an der Leiche vorbei und kniete mich neben sie. »Wahrscheinlich habe ich den oder die Mörder nur um Minuten verfehlt, denn das Blut an der Leiche wirkt sehr frisch. Wenn ich den Zeigefinger in die Lachen beiderseits des Oberkörpers stecke, tropft das Blut vollkommen normal, die Gerinnung an der Oberfläche ist nur den Bruchteil eines Millimeters dick. Ich bücke mich jetzt, um festzustellen, durch wieviel Schüsse der General getötet wurde. Das ist selbstverständlich Aufgabe der Fachleute der Mordkommission, ich tue es trotzdem aus beruflichem Interesse, aber auch, um mögliche Veränderungen durch lange Liegezeiten der Leiche zu dokumentieren. Ich war um etwa 15 Uhr an der Leiche, das Blut wirkte frisch und war kaum geronnen. Es kann also durchaus sein, daß der Tod erst nach 14 Uhr eingetreten ist. Ich habe dann sowohl das T-Shirt wie die Turnhose des Toten hinauf- bzw. heruntergeschoben. Der Mann ist von mindestens zwanzig Geschossen eines großen Kalibers (neun Millimeter?) getroffen worden, davon liegen zwölf in einer Naht oberhalb der Taille, so daß der Körper nahezu durchtrennt wurde. Eine zweite Gruppe Geschosse traf den Brustkorb bis hinauf zum Halsansatz und hat die Figur eines Kreises. Ich vermute eine vollautomatische Waffe, aus der zwei Salven geschossen worden sind.
Der Zustand des Badezimmers läßt folgendes vermuten: Wahrscheinlich hat der General den Morgen über Holz gehackt. An dem Schnürband seines rechten Schuhes hängt ein frischer Holzspan. Er ist dann wohl in das Badezimmer gegangen, um sich zu rasieren. Das kann ich wegen des Blutes im Gesicht nicht genau feststellen, aber der Rasierpinsel im Bad ist naß, und auf dem Waschbecken ist die übliche Versammlung frischer Wasserspritzer zu sehen. Weiter hat er sich eindeutig Badewasser eingelassen. Das Wasser steht etwa zehn Zentimeter hoch in der zugestöpselten Wanne und ist blau, was auf einen Badezusatz schließen läßt. Und es ist jetzt um 15.35 Uhr noch immer warm, zumindest wärmer als das Badezimmer selbst. Es sieht so aus, als sei der General aus dem Badezimmer gekommen und als haben ihn die beiden Geschoßsalven auf dem Weg quer durch den Wohnraum von vorne getroffen. Aber es kann auch sein, daß alle Geschosse in den Rücken trafen und daß die von mir festgestellten Wunden Ausschüsse sind und nicht etwa Einschüsse. Ich fand keine Geschoßhülsen und auch keinerlei Einschüsse an den Möbeln, Wänden etc.«
Das Blut des Generals wurde immer dunkler, zusehends fester, ein Panzer für seine tote Haut. Ich ging noch einmal hinauf in das Obergeschoß, sah mich um und entdeckte zunächst nichts Besonderes. Die Schreibtischplatte war sauber und leer, nichts wies auf irgendeine Tätigkeit hin. Dann sah ich den hohen Babystuhl in einer Ecke neben dem Messingbett. Er war aus hellem Holz, offensichtlich liebevoll selbstgefertigt. Hatte der General ein Kind gezeugt? Wartete er auf ein Kind? Hatte er vor, ein Kind zu haben? Und dann die Frage Nummer eins, die mir erst jetzt einfiel: Wie alt war der Mann eigentlich?
Irgendwas zwischen fünfzig und sechzig Jahren entschied ich. Ich war betroffen, als ich feststellen mußte, daß ich im Grunde nichts über diesen Mann wußte. Was für eine Sorte General war er gewesen? Einer für die Luftwaffe, für die Infanterie, für Panzer? Er hatte einmal beiläufig die NATO erwähnt, aber ich erinnerte mich nicht mehr daran, in welchem Zusammenhang das geschah. Ich wußte wirklich nichts über diesen Mann.
Ich wußte nicht einmal, ob er so etwas wie eine Familie hatte und wo er zu Hause war. Dieses Jagdhaus war nur sein Zweitwohnsitz, das hatte er erzählt.
Ich hockte mich auf die oberste Stufe der Wendeltreppe und starrte auf ihn hinunter. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schock: Alle Welt, von Adenau bis Bonn, von Bad Münstereifel bis Remagen redete wie selbstverständlich von diesem General und seinem tollen Jagdhaus in der Eifel, aber in diesem Haus gab es keine einzige Langwaffe, nicht einmal ein
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