Eifel-Feuer
konnte ihn buchstäblich fragen hören: »Sagen Sie mal, weshalb sind Sie eigentlich rübergekommen, wenn Sie ohnehin kein Wort sagen wollen?« Er konnte so wunderschön scharfkantig ironisch sein. Also war die Idee nicht gut. Aber welche Idee war gut? Ich dachte an Rodenstock an der Mosel und daran, daß er seit mindestens sechs Wochen abgetaucht war und nichts von sich hören ließ. Natürlich würde er nach Dinah fragen, weil sie so etwas wie seine Ziehtochter war, aber ich könnte mit irgendwelchen Belanglosigkeiten kontern. Zum Beispiel behaupten, sie sei zu ihren Eltern gefahren. Ich rief ihn also an, aber niemand hob ab, weder der olle Rodenstock noch seine höchst überraschende Freundin Emma aus Holland, die in s'Hertogenbosch stellvertretende Polizeipräsidentin war. »Sie sind wahrscheinlich in ihrer Wohnung in Holland«, sagte ich laut und rief dort an. Aber auch dort meldete sich niemand. Da hockte ich mich an den Küchentisch und las die Zeitungen der letzten drei Tage. Das tue ich immer, wenn ich absolut nicht weiß, wie es weitergehen wird.
In Belgien machte der Skandal um die Kinderschänder gewaltigen Lärm, und ganz Europa schien auf das kleine Land zu starren, als berge es hinter bigotter Harmlosigkeit gewaltige Gefahren, halte seltene Monster mit blutigen Zähnen bereit, sei irgendwie letztlich schuld an dieser moralisch-ethischen Sauerei. Meine Kolleginnen und Kollegen fanden vor Abscheu triefende Sätze, als sei Belgien das Zentrum dieser Welt für sexuell pervertierte Erwachsenencliquen und Pornofilmer mit kleinen Mädchen als Hauptdarstellerinnen. Vielleicht sollte das Familienministerium etlichen Redaktionen ein paar Betriebsausflüge nach Manila oder Bombay spendieren, um die Praxis aufzufrischen und anschließend im eigenen Land genauer hinsehen zu können.
Ich spürte, wie ich langsamer zu atmen begann und allmählich in ruhigeres Fahrwasser geriet. Ich sagte zu Paul, der auf der Fensterbank lag: »Sie wird wiederkommen, weißt du. Sie wird spätestens morgen vor der Tür stehen und in die Küche gehen und einen mexikanischen Apfelkuchen backen. Und natürlich kriegt ihr eine Sonderration Rinderleber, richtig schön blutig.« Im gleichen Augenblick wußte ich, daß genau das nicht geschehen würde, aber es tat gut, gegen die atemlose Stille in mir anzureden, und plötzlich mochte ich mein Haus nicht mehr und dachte erneut an den General Otmar Ravenstein, atmete wieder hastig und hatte nur den einen Wunsch, möglichst schnell aus diesem Haus und diesem Dorf zu verschwinden. Dann dachte ich, daß Dinah vielleicht irgendeine Panne mit ihrem alten Auto haben könnte und mich zu erreichen versuchte. Also blieb ich und las weiter Zeitungen, bis das Telefon schrillte und ich in Panik auf den Küchenfliesen ausrutschte.
»Baumeister hier.«
»Hier ist Maria Hermes aus Jünkerath. Sagen Sie mal, Sie sind doch Journalist. Und wir hier haben in Jünkerath die Hauptstraße, Sie wissen schon, die Straße, die seit Jahren eine Baustelle ist. Und da wollte ich mal fragen, ob Sie nicht darüber schreiben können. Und ich habe dazu was zu sagen, weil ich bin nämlich Anlieger.«
»Das geht jetzt nicht«, sagte ich freundlich. »Können Sie mich in den nächsten Tagen noch einmal anrufen?«
»Das mache ich gerne«, erwiderte sie kriegerisch. »Ich bin nämlich Anlieger, und mein Mann sagt schon lange, er hätte die Schnauze voll, also er würde das nicht mehr mitmachen, würde er das. Und ich soll auch noch fragen, was das denn kostet.«
»Was was kostet?« fragte ich verblüfft.
»Na ja«, krähte sie fröhlich. »Wir müssen doch wissen, was das kostet, wenn Sie drüber schreiben.«
»Das kostet nichts«, hauchte ich. »Bis die Tage denn.«
Ehe ich ins Badezimmer ging, um mir mannhaft ein menschliches Aussehen zu geben, las ich noch in der Süddeutschen den Bericht über Ewald Herterichs Tod. Ich wußte schon alles darüber, denn er war einer der wenigen Politiker, die ich gemocht habe. Er hatte eine sehr verständnisvolle Art gehabt, mir die Schliche und Schleifen der Politik in Bonn und anderswo zu erklären, bis ihn vor ein paar Monaten die Europäische Union zusammen mit der NATO zum Verwalter einer Stadt im ehemaligen Jugoslawien gemacht hatte. Er sollte die Infrastruktur aufbauen, sollte den Frieden bewahren, sollte die Menschen friedlicher stimmen, sollte ihnen zeigen, daß Frieden sich lohnt. Er war mit den Worten abgeflogen: »Ich werde versuchen, das Beste daraus zu machen.«
Sein
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