Eifel-Feuer
»du machst mir Sorgen.« Und dann, an Dinahs Adresse: »Verdammt noch mal, wie konntest du so dämlich sein, ausgerechnet heute zu verschwinden?«
Er lag neben dem großen Eßtisch lang ausgestreckt auf dem Rücken, seine Augen waren offen und tot. Wahrscheinlich hatte er im Fallen instinktiv die Hände vor das Gesicht geschlagen. Und weil diese Hände voller Blut gewesen waren, sah er aus wie ein sehr schlecht geschminkter Clown. Blut vom Gesicht bis zu den Oberschenkeln, unglaubliche Mengen an Blut. Unter seinem Rücken war eine Menge Blut auf die Tannenbretter des Fußbodens gelaufen und hatte sich in zwei Lachen unter den Achselhöhlen gesammelt. Es glänzte wie ein Spiegel, war kräftig rot und sah sehr frisch aus. Viel Blut hatte auch der hellbeige Wollteppich aufgesogen, der unter den Möbeln der Eßecke lag. Der General Otmar Ravenstein lag da wie ein Gekreuzigter.
Ganz automatisch kam mir in den Sinn, daß er wahrscheinlich noch leben würde, hätte ich nicht den umständlichen Umweg hierher gemacht und wäre strikt über Nohn nach Adenau gefahren. Aber möglicherweise, sagte eine andere Überlegung, lägen dann hier nicht nur eine Leiche, sondern zwei.
Der Handel mit Konjunktiven birgt immer Betrug.
Ich machte einen Schritt rückwärts, und der Absatz meines Schuhs verursachte einen scharfen Laut. Plötzlich dachte ich: Wenn es noch nicht lange her ist – vielleicht bin ich mit dem General nicht allein? Wie in Sekundenfieber war ich von Panik erfüllt und sagte mehrere Male: »Hallo?« Aber ich glaube nicht, daß ich es einfach sagte, es war wohl eher ein Krächzen und der Versuch, gegen diese unendliche Stille anzukommen.
Ich schlüpfte aus den Schuhen und schaute schnell in den Windfang, die Küche, das Bad, die Wendeltreppe hinauf in den zweiten Raum. Ich bückte mich sogar, um unter das große Messingbett gucken zu können. Nichts, ich war allein mit diesem Toten.
Das Telefon stand auf einem kleinen Tisch mit einer Kupferplatte, seitlich von dem großen Kamin. Drei schwere Ledersessel waren dort aufgebaut, wie Männer sie wohl mögen. Ich ging nicht über den Notruf, sondern über die normale Nummer des Polizeireviers in Adenau: »Hier ist Siggi Baumeister im Haus des Generals Otmar Ravenstein zwischen Kaltenborn und Hochacht. Sind Sie hier zuständig?«
Die Stimme des Beamten war jung. »Sind wir. Was kann ich für Sie tun?«
»Der General ist erschossen worden.«
Eine lange Weile war es still, der Polizist atmete sofort hastiger.
»Unfall, oder?«
»Kein Unfall. Erschossen.«
»Woher wollen Sie das wissen? Oder sind Sie ein Kollege? Wer, sagten Sie, sind Sie?«
»Siggi Baumeister. Journalist.«
»Wo sind Sie denn jetzt. Und was machen Sie da?« Die Stimme kam so zögernd, als neige der Beamte zu schwerem Stottern. Wahrscheinlich hatte er den Telefonhörer zwischen Kinn und Schulter eingeklemmt und ruderte mit beiden Armen, um die Kollegen darauf aufmerksam zu machen, daß er in Not war.
»Ich bin hierher gekommen, um mit dem General zu klönen, guten Tag zu sagen. Einfach so.«
»Sie sind also in seinem Haus?« Er versuchte, auf eine recht dümmliche Art Zeit zu schinden.
»Hören Sie zu, junger Mann. Heben Sie Ihren gottverdammten Arsch hoch, und kommen Sie her. Der General Ravenstein liegt vor mir. Erschossen!«
Er versuchte es erneut. »Damit wir uns nicht mißverstehen, Herr ... Wie heißen Sie doch noch mal?«
»Sie sollten eigentlich von jeder Karriere befreit werden«, sagte ich wütend und hängte einfach ein.
Ich ging hinaus zum Wagen und holte mir das Diktiergerät. Als ich zurückkam, klingelte das Telefon einmal kurz und war dann wieder stumm. Ab jetzt wurde also dieser Anschluß abgehört, und es war ein durchaus normales Vorgehen, wenngleich der Normalverbraucher immer in dem Glauben gehalten wird, ein Telefon abzuhören setze einen richterlichen Beschluß voraus. Wahrscheinlich würden sie sich auf den magischen Begriff »Gefahr im Verzüge« berufen. Gefahr im Verzüge bedeutet, daß im Grunde jeder tun kann, was er für notwendig hält, Gefahr im Verzüge war immer schon eine brillante Entschuldigung mit eingebautem Freispruch.
Während ich auf den Toten starrte, begann ich zu diktieren: »Siggi Baumeister nach dem Tod des Generals Otmar Ravenstein in dessen sogenanntem Jagdhaus. Ich habe bisher an folgenden Stellen Fingerabdruckspuren hinterlassen: an den Klinken aller Türen beidseitig, am Messingbett des Toten im Obergeschoß, am Telefon und vermutlich auf
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