Eifel-Feuer
an Himbeersträuchern leben, an Erdbeerpflanzen und Kriechendem Fingerkraut. Die Lavendelbüsche und Dolden des Sommerflieders sahen aus wie die Behälter für Kostbarkeiten, wenn der Große und Kleine Kohlweißling, der Aurorafalter, der Zitronenfalter, der Hauhechel-Bläuling, der Admiral, der Große und Kleine Fuchs und das Tagpfauenauge zum Festmahl anflogen. Das Tagpfauenauge war nicht selten mit etwa dreißig Tieren vertreten, und ein paar ließen sich regelmäßig auf meinen Jeans nieder: Blau paßt gut zu ihnen. Und zuweilen kam sogar ein Schwefelvögelchen, obwohl irgendeine Studienrätin in Daun seit Jahren behauptete, die seien in der Eifel ausgestorben. Aber vielleicht kam die Gute selten an die frische Luft.
Paul hatte sich also auf den Rücken gelegt, und in seiner Reichweite bewegten sich ständig etwa zehn Falter. Von Zeit zu Zeit langte er müde nach einem, rührte sich aber nicht, als sich ein Ochsenauge munter oberhalb seines linken Auges plazierte. Paul, so sagte ich mir seufzend, ist eben vollkommen denaturiert, und daß an Katzen gut zu beobachten sei, daß sie einstens zur Familie der Raubtiere gehörten, halte ich für ein Gerücht. Paul zumindest hätte in so einer Familie nicht einen Tag überlebt. Während ich mich solch melancholischen Überlegungen hingab, streckte mein Kater seine Tatze matt nach einem Feurigen Perlmutterfalter, der im Auftrag seiner Sippe vorbeigekommen war, um zu erkunden, was es bei Baumeister so gab.
Da schlenderte Dinah heran, und sie hatte diese unnachahmlich flunschige Miene aufgesetzt, die grundsätzlich andeutet, daß irgend etwas in ihrem Leben höchst quer gelaufen ist. Sie ging auch nicht, sie schob sich vielmehr durch das Gras, als sei es unmöglich, die Beine zu heben. Sie grüßte mit einem nicht sehr hanseatisch wirkenden »Moin, Moin« und hockte sich mühsam mir gegenüber. »Wann bist du denn aufgestanden?«
»So gegen fünf«, sagte ich. »Du hast leicht geschnarcht.«
»Tut dein Gesicht weh?«
»Sagen wir mal, ich spüre leicht, daß es irgendwie aus der Fasson geraten ist. Du hast einen Kummer, nicht wahr? Soll ich einen Kaffee machen?«
»Ich will keinen Kaffee, ich will einen Tee. Ich habe keinen Kummer. Was machst du heute?«
»Ich werde vermutlich über Eifler Wasserquellen schreiben und darüber, daß unsere Obrigkeit uns ständig einreden will, wir hätten hier ein kristallklares Naß von besonders hoher Qualität. Haben wir nicht. Ochs, Esel und Katholiken saufen ein saumäßiges Chemiegebräu, ein pures Industrieprodukt. Wir haben den sauren Regen, wir haben die Nitrate, die langsam tiefer und tiefer sickern.«
»Aber wen interessiert das?« unterbrach sie mich roh.
»Das weiß ich nicht«, gab ich vorsichtig zu. »Was ist denn dein Kummer?«
»Ich habe keinen. Nun rede mir doch nicht ein, daß ich Kummer habe, ich habe keinen.«
»Schon gut, ich bestehe nicht darauf.«
Wir schwiegen uns eine Weile an, dann murmelte sie: »Ich muß mal mit dir reden, ich habe kaum richtig geschlafen.« Sie bewegte unruhig die Hände auf der hölzernen Tischplatte, zwischen ihren Augenbrauen erschien ein scharf ausgeprägtes V, und sie schloß für eine Sekunde die Augen. Dann sah sie mich an, sagte aber nichts.
»Du schläfst schon seit vielen Tagen nicht richtig«, murmelte ich. Ich roch die Gefahr, sie meinte es ernst.
Plötzlich hatte ich das ekelhafte Gefühl vollkommener Hilflosigkeit. »Laß es raus.«
»Es ist so, daß ich ... Ich glaube, ich muß mal eine Weile weg von hier.«
Paulchen kippte in der Längsachse zur Seite, stellte sich langsam wie ein alter Mann auf die Beine und hüpfte dann erstaunlich elastisch auf ihren Schoß. Er drehte sich ein paarmal und ließ sich nieder, um genußvoll die Augen zu schließen.
»Was meinst du mit eine Weile?«
»Das weiß ich nicht«, entgegnete sie und schubste Paul von ihrem Schoß. »Das weiß ich eben wirklich nicht. Das muß ich ausprobieren.«
»Und wo willst du hin?«
»Das weiß ich auch nicht. Jedenfalls jetzt noch nicht.«
»Seit wann denkst du drüber nach?«
»Seit vorgestern. Ich dachte: Das geht vorbei. Aber es geht nicht vorbei. Ich hocke in einem Loch und komme nicht heraus. Scheiße!«
»Unsere Geschichte ist also vorbei?« Das war eine schwere Frage, eigentlich war es eine unmögliche Frage, aber wahrscheinlich wirkte ich trotzdem sehr ruhig.
»Nein, nein, nein. So meine ich das nicht. Ich will überlegen.«
»Was willst du denn überlegen?«
»Was ich aus meinem
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