Eifel-Jagd
mühsam hoch, ehe
ich steif wie ein alter Mann die Treppe hinunterzitterte. Ich fühlte mich
körperlich verprügelt, mir war übel, ich steckte noch immer im Blues. Einen
Moment lang hatte ich die Hoffnung, Emma habe Rodenstock mitgebracht, aber sie
war allein, stand neben ihrem Wagen in der Sonne und sagte kein Wort.
»Wo ist Rodenstock?« fragte ich, nur um irgend etwas zu sagen
und die aufdringliche Stille zu verscheuchen.
Sie antwortete nicht und malte mit der Spitze ihres rechten
Schuhs wirre Linien auf das Pflaster. Dann kam sie auf mich zu: »Er ist zu
Hause und kümmert sich um Dinah. Wie geht es dir?«
»Mir? Oh, eigentlich gut, denke ich.«
»Du hast schon intelligenter gelogen.« Ihre Stimme war trocken.
»Hast du einen Kaffee?« Sie ging an mir vorbei ins Haus.
Ich setzte eine Maschine Kaffee auf, und sie hockte am
Küchentisch und riskierte nicht einmal ein kleines Lächeln.
»Sie ist zu euch gekommen?«
»Ja, heute nacht. So gegen drei. Sie war völlig durch den Wind,
wie ihr Deutschen sagt. Also, wie geht es dir?«
»Ich weià es nicht genau. Mir geht es wie einem Mann, der auf
der Flucht ist und nicht genau weiÃ, wovor er flieht.«
»Da kann ich behilflich sein. Du flüchtest vor deinen Gefühlen.
Sie übrigens auch.«
»Sie kann mir mit ihrem hehren Freiheitsdrang gestohlen
bleiben. Und wenn ich ehrlich bin, so möchte ich nicht einmal darüber
diskutieren.«
»Ich will dich nicht zwingen«, sagte sie. Und jetzt war ein
schmales Lächeln in ihrem Gesicht.
»Ich bin zu alt für diese Mätzchen.«
»Ja, ja.« Sie schien demütig und kleinlaut, sie senkte sogar
angemessen dramatisch erst den Kopf und dann die Stimme. Doch sie schlug scharf
zurück: »Stell dir vor, du wärst tatsächlich zu alt, stell dir vor, du könntest
das alles nicht mehr in dir spüren. Stell dir vor, du wärst wie tot.«
»Das brauche ich mir nicht vorzustellen«, bellte ich.
Sie sah mich an und nickte mit geschlossenen Augen. »Deswegen
bin ich hier.«
Mit ein paar aufdringlich lauten Schlürfgeräuschen beendete die
Kaffeemaschine ihre Tätigkeit. Emma stand auf, kramte zwei Becher aus dem
Küchenschrank, dazu den SüÃstoff und Milch. Sie goà uns Kaffee ein, ihre Bewegungen
waren langsam, erinnerten extrem an slow motion. Der einzige Schmuck an ihr war
die Piaget, die Rodenstock ihr geschenkt hatte.
»Wie geht es denn deinem Macker?« fragte ich.
»Danke, gut. Er sagt, er lebt gern. Natürlich soll ich dich
grüÃen. Er schickt dir vom Uwe Kreuter und Stephan Treis an der Mosel je eine
Kiste trockenen Riesling, damit deine Gäste es gut haben. Er nimmt an, daà du
dich schlimm fühlst.«
»Sag ihm, er hat recht.«
»Wann hast du das letzte Mal gegessen?«
»Ich weià es nicht. Gestern morgen, oder so. Warum?«
»Weil du aussiehst wie jemand während einer Hungersnot.«
»Ich kann nichts essen, mein Magen macht nicht mit.«
Sie sah mich aus schmalen Augen an. »Dann brauchst du drei bis
vier Spiegeleier. Ich war mal mit einem Mann verheiratet, der bei allen
grundsätzlichen Schwierigkeiten drei Spiegeleier aÃ. Meistens half es
wirklich.«
»Ist das die einzige Erinnerung an ihn?«
Sie strahlte mich an. »Bis auf diese Kleinigkeit war er tatsächlich
sehr farblos. Das heiÃt, er war mein Allergietyp. Er war allergisch gegen
schlichtweg alles. Hausstaub, Hunde, Katzen, Aspirin und Gänseschmalz. Er war
jemand, der 24 Stunden am Tag der Frage nachging: Wie geht es mir heute
eigentlich?«
»Wie kann man so einen Menschen denn heiraten?«
Sie verzog ihren Mund ganz breit. »Das buche ich auf das Konto
Unfälle im Haushalt. Also, drei oder vier Spiegeleier?«
»Du muÃt mich nicht bekochen.«
»Oh!« erwiderte sie giftig. »Deshalb fühle ich mich noch nicht
als eine unterdrückte, ausgenutzte Hausfrau. Dein Edelmut macht mich
schamviolett. Also, drei oder vier oder fünf?«
»Drei. Wie oft warst du eigentlich verheiratet?«
»Viermal«, erwiderte Emma munter. »Rodenstock ist der fünfte
Mann, mit dem ich lebe. Ich bin sechsundfünfzig und habe noch regelmäÃig Sex,
und er macht mir auch noch regelmäÃig SpaÃ.« Sie lachte. »Das eigentlich
Widerliche an mir ist, daà mir keiner der vier Männer leid tut.«
Weitere Kostenlose Bücher