Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
Prolog
„Es nichts mehr da!“
Verzweiflung machte die Stimme Manolos zittern. Vor ihm stand die Menge, alle verlangten zu Essen, aber er hatte nichts, die Lieferung war nicht gekommen, er hatte verkauft, was er hatte, nun war sein Lager leer, alles fort.
Gleissend hell leuchtete die Strassenkreuzung vor ihm wieder, das Licht fiel schräg auf die Stadt, hart sich von den im Schwellen berstenden Wolkenformationen im Osten abhebend. Das Grau des Himmels dort neigte sich ins Schwarz, wo die milde sinkenden Strahlen nicht hingelangten. Wie Dampf hüllte die Hitze das Land in ihre feuchte Dichte. Die Schatten ragten auf, wohin sie reichten, aber noch war die Sonne siegreich und bannte sie in die verborgenen Winkel und Ecken.
Doch wenn die Nacht gekommen sein würde, so wären es nur die Neon-zitternden Leuchtröhren, welche den Schatten zu wehren suchten. Dann wäre das Gold des Tages gegangen und wer wäre sich während der fröstelnden Morgenstunden des wiederkehrenden Tages sicher gewesen? Wenn der jetzt von Hitze durchriebene Staub klamm von Tau an den Steinen klebte und den Gestank in sich band, den der helle Tag hervorgetrieben hatte?
Schweiss trat auf Manolos Stirn, rieselte sachte in den Kragen seines Hemdes während ein spiegelndes Glas ihn blendete.
„Nichts“, sagte er leise, die Innenseiten seiner Hände nach Aussen kehrend.
„Das kann nicht sein, was soll ich meiner Familie heute Abend zu Essen geben?“
„Das weiss ich nicht, aber ich habe nichts mehr“, erwiderte er. Er blickte in die wütenden Augen vor sich. Die Menge stand vor der Schwelle, die seinen Laden von der Strasse trennte. Höchste Zeit, den Laden dicht zu machen. Mit einem akkuraten Schwung wollte er die Tür zuschlagen, doch da griffen zwei Hände danach. Zu spät.
Er war nicht schnell genug gewesen. Wie im Sauerteig die Gärung steigt, hatte sich die Hitze im Volk gesteigert. Mit einem Schrei riss eine dritte Hand die Tür wieder auf und zerrte Manolo am Hemd aus seinem Laden. Oh Gott, nun würde die Katastrophe losgehen!
Der erste Schlag traf ihn über dem Kiefer und die weiche Innenseite seiner Wange riss an der Kante seiner Backenzähne auf, der zweite war der der leeren Kohlkiste als er umkippte, der traf ihn an der Schläfe. Als ihn der dritte in den Rücken traf, war es schon viel zu spät, um zu laufen. Mochte Gott geben, dass seine Frau und die zwei Kinder sich in Sicherheit gebracht hatten.
Die stämmige Frau, die als erste nach der sich schliessenden Tür gegriffen hatte, rief immer wieder: „Was soll ich meiner Familie geben, was soll ich meiner Familie geben?!“, während sie die Hände in die Hüften stemmte und fordernd auf den Mann zwischen den Kisten blickte. Er lag seitwärts und man konnte die tiefe Schramme über seine Stirn sehen. Da entstand ein Wirbel um die Gruppe, als ein anderer der enttäuschten Einkäufer sagte: „Er kann doch nichts dafür, warum schlägst du ihn nieder?“
„Er kann wohl was dafür, er hat doch den Keller voll und morgen, wenn wir alle hungern, hat er die Preise gehoben, das kenne ich schon. Willst du im Keller nachschauen?“
„Er ist einer von uns und das weiss er, das würde er nicht tun!“
„Das denkst auch nur du!“
„Schwachkopf!“
„Wie hast du mich genannt?“
„Schwachkopf! Du zurückgebliebener Bastard einer einbeinigen Hure…“
Dieser holte zum Schlag aus, doch ehe er zuschlagen konnte, t raf ihn von der Seite das Brett einer zerlegten Kiste. Er stöhnte und wollte sich umwenden, als der, der ihn Sohn einer einbeinigen Hure genannt hatte, über ihn fiel, bewusstlos von einem Stein, den eine der Frauen von weiter hinten nach ihm geworfen hatte.
Der Wirbel zog immer grössere Kreise und der Lärm stieg an, die Schreie wurden rauer und härter die Schläge und Gegenschläge, die Tritte und
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