Eifel-Kreuz
mich, was Menschen dazu getrieben haben könnte, einen
Achtzehnjährigen zu kreuzigen. Halt, Korrektur: einen Achtzehnjährigen erst zu
erschieÃen und dann zu kreuzigen. Oder meinetwegen erst zu kreuzigen und dann
zu erschieÃen. War der Junge geopfert worden? Geopfert wofür?
Hinter Pelm fuhr ich auf einen Parkplatz und hockte mich an
den kleinen Bach, der sich munter gurgelnd durch die Wie-sen des Tales
schlängelte. Ich stopfte mir eine schön gebogene Caminetto aus dem
italienischen Cucciago und versuchte, ruhig zu werden. Mein Hirn produzierte
einen Wust von schnell wechselnden, bedrückenden Bildern, keine Spur von
Gelassenheit, keinerlei Möglichkeit zur Konzentration.
Aber auf was sollte ich mich auch konzentrieren? Auf einen
Achtzehnjährigen aus gutem Haus, den man gekreuzigt hatte? Ich kannte nur
seinen Namen, und das war buchstäblich alles â Sven Dillinger.
Eine Zeit lang lauschte ich dem Plätschern des Baches.
Was ist eigentlich eine Kreuzigung? Eine Hinrichtungsform
für Verbrecher und Aufständische bis weit in das dritte Jahrhundert hinein. Die
Menschen wurden an das Kreuz gebunden oder genagelt und buchstäblich für
jedermann ausgestellt. Meistens war das Kreuz nur ein Pfahl, später wurde es
der Schandpfahl des Mittelalters. Die Betroffenen starben tagelang, ganz
langsam, und die Gnade ihres Landesherrn war sehr groÃ, wenn er ihnen zum Ende
hin einen schnellen Schwertstreich gewährte. In der Regel lieà man die Leichen
am Kreuz verwesen. Der sagenumwobene Kaiser Konstantin I., der höchst privat
seine halbe Familie ermorden lieÃ, hatte diese ziemlich brutale Tötungsform in
seinen frühen Jahren ausgiebig befürwortet, bis er dann das Christentum zur
Staatsreligion erklärte und das Kreuz einen vollkommen anderen Sinn bekam. Die
Geschichtsbücher nannten ihn Konstantin den GroÃen, obwohl seine GröÃe bei
näherem Hinschauen sehr fragwürdig war. Kindern, die um Einschlafgeschichten
baten, konnte man mit Konstantin nicht kommen â zu viel Hass und Blut klebte an
dem Mann und zu viel fragwürdige Verherrlichung durch die katholische Kirche.
Endlich trödelte ich nach Hause, dort setzte ich mich an
meinen Teich, schmauchte vor mich hin und hatte ständig das Bild in meinem
Kopf, wie Sven Dillinger blutverschmiert an seinem Kreuz gehangen hatte. Es
würde mir Albträume bereiten.
Tante Anni trat durch das Gartentor und hüpfte behände
über die Terrassentreppe zu mir herunter.
»Emma hat angerufen und gesagt, du nimmst mich mit. Ich
bin eingeladen, ich will auch Spaghetti.«
»Das ist schön. Willst du einen Schnaps?«
»Natürlich.«
Ich stellte ihr einen Plastikstuhl neben meinen und ging
ihr einen Schnaps holen.
»Ihr habt neue Fälle, sagt Emma. Dann hast du ja jetzt
Arbeit«, stellte sie fest.
»Ja, das stimmt, das habe ich. Wobei mir einfällt, dass
ich in Hamburg anrufen muss, weil sie wissen sollten, dass da eine Geschichte
kommt. Bin gleich wieder da.«
Ich wählte die Hamburger Nummer und erwischte Neumann,
der etwas muffig erschien, was aber nichts besagte, weil er immer muffig war.
»Ich habe eine mögliche Geschichte. Hier ist ein achtzehnjähriger
Gymnasiast erst erschossen und dann gekreuzigt worden, beziehungsweise
vielleicht auch umgekehrt.«
»Gekreuzigt? Ist die Eifel derart zurückgeblieben, dass
dort noch gekreuzigt wird?« Er lachte meckernd.
»So sieht es aus.«
»Gibt es Bilder?«
»Ab morgen Nachmittag.«
Ich würde Kischkewitz darum bitten. Er wusste, dass ich
nichts an die Tagespresse weitergab und ihm meine Geschichte zur Freigabe
vorlegen würde.
»Wie viel Text?«
»Bis jetzt maximal zehn Zeilen.«
»Dann verstehe ich das richtig, dein Anruf ist eine Warnung?«
Manchmal formulierte er gut, ich musste lachen. »Ja, genau,
das ist erst mal nur eine Warnung. Die BILD wird auf dem Titel eine halbe Seite
bringen, wie ich das einschätze. Und der Focus wird sich zieren, weil er das für eine schmuddelige Geschichte hält.«
»Also gut. Vorläufig eine Seite. Aber vergiss nicht, mein
Lieber, dass ohne Bilder nichts läuft.«
»Der Junge am Kreuz«, versprach ich siegessicher.
»Das wäre angenehm«, erwiderte er. »Weià man denn schon
etwas über das Motiv?«
»Nein.«
»Für eine Meldung mit einer derart wichtigen Bedeutung
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