Eifel-Krieg
Mann gesehen. Wie sieht er denn aus?«
»Eins achtzig, blondes Haar, sehr schlank«, antwortete Rodenstock. »Ich bin mittags mal das Tal abgefahren, aber gesehen habe ich nichts. Man kann von der Straße aus nicht alles einsehen.«
»Nun esst doch mal was«, nörgelte Emma.
»Wieso rufen diese Eltern denn gleich die Polizei, wenn der zwanzigjährige Junior nicht wie verabredet eintrudelt? Ist das nicht etwas übertrieben?«, fragte ich.
»Kann man so sehen«, brummelte Rodenstock. »Aber der Vater klang sehr ängstlich, hysterisch sogar. Und jetzt will ich etwas essen.«
Also machten wir uns an die Nahrungsaufnahme und blickten alle drei von Zeit zu Zeit auf Tante Liene, die im Hintergrund mit offenem Mund auf ihrem Kissenberg saß und vor sich hinrasselte.
»Wie kam sie denn nach Australien?«, fragte ich.
»Das wissen wir nicht genau, sie wird es uns sagen«, antwortete Emma. »Sie heiratete nach dem Krieg in Australien noch einmal, bekam drei oder vier Kinder. Sie hatte zwei oder drei depressive Zusammenbrüche, kam in die Psychiatrie, wurde jedes Mal gerettet und zog sich mit ungefähr fünfundsiebzig Jahren aufs Altenteil zurück.«
»Und wie bist du mit ihr verwandt?«, fragte ich Emma.
»Das weiß ich noch nicht genau«, lächelte sie. »Ich glaube, sie war eine entfernte Großcousine von einem Mann, der im Europa des Zweiten Weltkriegs Großonkel Bonni genannt wurde. Der lebte in Paris. Bonni ist natürlich längst tot. Aber das ist ja auch wurscht, sie gehört halt dazu. Ich muss in meinen Papieren nachschauen.«
»Aber sie muss eure Adresse gehabt haben«, sagte ich.
»Hatte sie«, sagte Rodenstock und grinste. »Man kriegt’s mit der Angst zu tun, wenn man sich vorstellt, wer alles in den äußersten Winkeln dieses Planeten unsere Adresse in Heyroth hat, nur weil Emma sich seit vielen Jahren um die Überlebenden kümmert.«
»Rodenstock!«, mahnte Emma. Dann wandte sie sich mir zu und fragte süßlich: »Unsere Staatsanwältin hat mich angerufen und erzählt, dass du zwei Tage in Trier gewesen bist. Ihre Kinder sind ganz begeistert von dir, hat sie mir erzählt.«
»Es war sehr schön«, bestätigte ich. »Ich werde allerdings nicht samt Haushalt nach Trier verschwinden, um deine nächste Frage zu beantworten.«
»Du weißt doch, Emma ist der Meinung, niemand sollte allein leben«, murmelte Rodenstock. »Du schon gar nicht!«
»Er hockt da mutterseelenallein in seinem Haus!«, stellte Emma vorwurfsvoll fest. »Da muss man sich doch kümmern dürfen!«
»Ach, Emma!«, sagte ich.
In diesem Moment tat Tante Liene einen sehr lauten Schnaufer und räkelte sich. Sie bekam tatsächlich beide Arme in Höhe ihrer Schultern gehoben und schlug die Augen auf. Sie sagte: »Humpf.«
Emma rannte zu ihr ins Wohnzimmer, und Rodenstock murmelte: »Ich erwarte tatsächlich das totale Chaos.«
Rodenstock und ich blieben auf der Terrasse. Emma blieb drinnen mit Tante Liene zugange.
»Wie kommt sie eigentlich hoch ins Gästezimmer?«, fragte ich.
»Ganz einfach«, antwortete Rodenstock. »Ich nehme sie auf den Arm und trage sie hoch. Das hatten wir gestern Abend schon einmal. Und sie benutzt reichlich irgendetwas von
Dior
. Riecht angenehm.« Er grinste diabolisch.
»Und wie lebt sie in Sydney?«
»Allein in einem großen Haus mit allen möglichen Bediensteten. Jedenfalls ist das unser Kenntnisstand. Emma wird heute Nacht mit irgendjemandem aus der Familie in Sydney sprechen, um das herauszufinden.«
»Tante Liene kann doch nicht hierher reisen, ohne vorher festzustellen, ob es diese Adresse überhaupt gibt.« Mir schien das rätselhaft.
»Tatsache ist, dass sie hier vor acht Tagen persönlich anrief und nach Emma fragte. Emma bestätigte das: ›Ja, ich lebe hier.‹ Dann legte Tante Liene auf. Emma ist in der ganzen Sippschaft weltweit als äußerst solide bekannt. Also konnte Tante Liene herkommen, das Risiko war gleich Null.« Er sah eine lange Zeit zum Waldrand hinüber, dann fragte er: »Rauchst du eine Pfeife? Ich hole mir eine Zigarre.«
»Das können wir tun«, sagte ich und stopfte mir bedächtig eine Gotha 58 von
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. Ich benutzte die neue Mischung Nr. 1 von Wilhelm Friederichs in Düren und schaute dann Rodenstock zu, wie er seine Montecristo schnuppernd unter der Nase durchzog, um sie dann feierlich zu beschneiden und anzuzünden.
Rauchopfer einer verfolgten Minderheit.
»Was halten wir vom Rücktritt des Papstes?«, eröffnete er dann.
Ich mochte das Thema nicht, ich
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