Eifel-Krieg
antwortete ich.
»Also das ganze Programm?«
»Das ganze Programm.« Ich beendete das Gespräch, Rodenstock wusste, was zu tun war. Ich nahm meine Nikon und fotografierte die Szenerie gründlich.
2. Kapitel
Es ist schwierig zu erklären, was du denkst, wenn so etwas geschehen ist. Du bist unsicher und erschreckt, und es entsteht ein massives Durcheinander im Kopf. Schnelle, wirbelnde Gedankenfolgen lassen nicht locker und erzeugen eine Art frustrierenden Stau, der sich nicht auflösen lässt, weil es keine Antworten gibt.
Wer erschoss aus welchem Grund einen so jungen Mann? Wer könnte einen Grund gehabt haben, zu einer solchen Brutalität zu greifen? Stritten sie sich um eine Frau? Lag es an den Banalitäten des Lebens, an plötzlich auftauchendem Hass? War ein weiblicher Täter denkbar? War der Tote mit seinem Mörder hier in diesem Tal verabredet? War der Tote ahnungslos? Waren sie zusammen in dieses Tal gegangen, um über irgendein Problem zu sprechen? War die Situation dann plötzlich eskaliert? Aber warum hatte einer von ihnen eine Waffe mitgebracht?
Das Tal war sehr still, irgendwo jubilierte eindeutig eine Feldlerche. Ich ging an den Bach und setzte mich ins Gras. Ich hatte plötzlich die irritierende Idee, es sei gut, sich auszuziehen und die Füße ins Wasser zu stellen. Ich zündete die Pfeife wieder an.
Es wurde eindeutig Zeit, dass Rodenstock auftauchte. Er verfügte über die seltene Gabe, seinem Umfeld selbst im Chaos die notwendige Ruhe zu verschaffen. In solchen Situationen wirkte er wie ein Zauberer.
Als er endlich kam, stieg er sehr selbstsicher über ein Stück verrotteten Stacheldrahtzaun, sah mich an, sah meinen Zeigefinger und ging stracks zu dem Toten unter der Haselnuss. Er blieb stehen, sah die Leiche an, hockte sich neben ihr hin, betrachtete sie lange. Dann stand er wieder auf, sah sich das Tal in beide Richtungen aufmerksam an, betrachtete dann den Toten erneut, hockte sich wieder hin und schien mit ihm zu sprechen. Er nannte das »einen Tatort trinken«, und er würde noch über Monate hinweg wissen, wie weit entfernt von der rechten Hand der Leiche ein kleiner Zweig mit zwei Nüssen lag.
Rodenstock stellte sich hin und teilte mit: »Es kommen ein Streifenwagen und drei Leute von der Mordkommission. Mehr sind nicht verfügbar.«
»Er hat sehr gepflegte Hände«, sagte ich.
»Wie meinst du das?«
»Na ja, lange, elegante Hände mit gepflegten Fingernägeln, sauber geschnitten und gefeilt. Irgendwie intellektuell. Keine Schwielen. Er hat wohl niemals mit den Händen gearbeitet.«
»Ein Intellektueller unter Neonazis?«, spottete er.
»Ein stiller Typ. Warum nicht?«
»Baumeister«, mahnte er an, »du weißt ganz genau, dass Tote immer ein bisschen betrügen. Er war im richtigen Leben vielleicht ein Teufel.«
»Er sieht aber nicht aus wie ein Teufel«, wandte ich ein.
»Eben«, bemerkte er bissig.
»Du bist mir eindeutig zu negativ! Wie heißt er denn eigentlich?«
»Paul Henrici aus Trier, genannt Blue, zwanzig Jahre alt, kein Beruf. Ich hätte mir eine Zigarre mitnehmen sollen.«
»Wir können nicht sicher sein, dass er das wirklich ist. Ich habe den lebenden Blue jedenfalls nie gesehen.«
»Ja, sicher«, grummelte Rodenstock.
Ein Streifenwagen hielt hinter unseren Autos. Die beiden Beamten waren eine Frau und ein Mann, beide jung und offenbar hungrig. Wahrscheinlich war ihr Alltag monoton. Die Frau ging mit einem Pferdsprung über den Stacheldraht, ihr jüngerer Kollege versuchte es auch und scheiterte. Er fluchte wie ein Bierkutscher, und die Frau lachte unterdrückt.
Sie kam zu uns und sagte hell: »Mein Name ist Meinart, guten Tag. Herr Rodenstock, Sie haben uns informiert.« Dann wandte sie sich an mich. »Und Sie sind Siggi Baumeister, ich hätte nicht gedacht, dass ich Sie eines Tages mal in einer Situation wie dieser persönlich kennenlernen würde. Sie haben ihn gefunden, richtig?«
»Richtig«, antwortete Rodenstock, bevor ich etwas erwidern konnte. »Er liegt da unter der Haselnuss.« Er wies mit der Hand hinüber zum Fundort der Leiche.
»Dann habe ich noch auszurichten, dass Frau Doktor Tessa Brokmann von der Staatsanwaltschaft in Trier kommt. Sie ist schon unterwegs«, sagte die Beamtin. »Tja, dann gucke ich mir das jetzt mal an.« Sie trug einen sehr blonden, langen Pferdeschwanz, und sie bewegte sich ausgesprochen weiblich.
Ihr Begleiter verfiel der nächsten Lächerlichkeit und folgte ihr mit winzigen Trippelschritten, wobei er dauernd aus dem
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