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Eifelbaron

Eifelbaron

Titel: Eifelbaron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Jagusch
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einen Termin bei Dr. Jörg Bauernfeind.
    * * *
     
    Welscher spürte einen Kloß im Hals, als er aus seinem Fiesta ausstieg und zum blauen Wasser des Obersees, der Hauptvorsperre der Rurtalsperre, hinabblickte. Nicht weit von hier hatte er vor Jahren einmal wunderbare Sommerferien mit seinem Schulfreund Harry verbracht. Die Erinnerung daran schlug zu wie ein Boxer, der ihn aus- knocken wollte. Es war die schönste Zeit seines bisherigen Lebens gewesen. Das Abitur in der Tasche, die Zukunft strahlend, die Ausbildung noch Wochen entfernt. Sie hatten gezeltet, waren Fahrrad gefahren, hatten geredet, und fast jeden Abend gab es Bier und Würstchen. Er lachte leise und schüttelte den Kopf. Das Bier hatte ihm eigentlich nicht geschmeckt. Aber es passte so herrlich zur Stimmung, einfach und unbekümmert. Harry war drei Monate später zur Marine gegangen, hatte sich freiwillig für zwölf Jahre verpflichtet. Er wurde auf die Gorch Fock abkommandiert, und irgendwann hatten sie sich aus den Augen verloren.
    Fischbach war noch nicht da. So gönnte Welscher sich einige Minuten der Ruhe und lehnte sich an den Kotflügel. Der Wind kräuselte die Wasseroberfläche. Die wenigen Sonnenstrahlen, die ab und an durch die Wolken drangen, wurden glitzernd reflektiert. Ein Bussard zog seine Kreise und spähte nach leichter Beute am Ufer. Nicht weit von hier lag Wollseifen, eine Ortschaft auf der Dreiborner Hochfläche. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die britischen Besatzer die Einwohner vertrieben und daraus einen Übungsplatz gemacht. Welscher grinste, als er daran dachte, wie er und Harry damals in ihrem jugendlichen Überschwang versucht hatten, sich diesen Ort näher anzuschauen. Sie waren nicht weit gekommen, weit vor der Sicherheitszone wurden sie von einer Militärstreife aufgegriffen. Was die für einen Terz gemacht hatten. Welscher und Harry hatten die scharfe Zurechtweisung stumm geschluckt. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum die Streife nichts weiter unternommen hatte. »Dumme-Jungen-Streich«, hatte einer in stark englisch gefärbtem Deutsch gebrummt und sie davongescheucht.
    Welscher überlegte, ob Wollseifen immer noch unzugänglich war. Die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang sollte ja inzwischen auch wieder für Publikum geöffnet sein, hatte er gelesen. Er konnte sich nur nicht daran erinnern, ob das Wollseifen mit einschloss.
    Fischbach wummerte heran. Er stellte seine Maschine ab und stakste auf Welscher zu. »Das nenne ich mal einen Ausblick«, sagte er und deutete zum See. »Ob der gute Dr. Bauernfeind weiß, dass er in einer Postkarte wohnt?«
    »Fragen wir ihn einfach«, schlug Welscher vor, betätigte die Klinke des schmiedeeisernen Gartentörchens und ging voraus.
    Bauernfeinds Haus zeigte sich frisch gestrichen und sauber verputzt. Es war anderthalbstöckig und mit einer geschwungenen Gaube im Dach versehen, die Welscher an eine Lilie erinnerte. Englischer Rasen zierte den Garten, die Büsche und Bäume waren akkurat beigeschnitten. Noch bevor sie die Haustür erreichten, wurde sie aufgerissen, und zwei muskulöse Labradore schossen bellend auf sie zu. Welschers Herz setzte einen Schlag aus. Panisch sah er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Doch da waren die Hunde bereits bei ihnen. Er schloss die Augen und blieb starr stehen. Das Bellen verebbte, eine Sekunde, zwei Sekunden, drei, vier, fünf, die ihm wie Stunden vorkamen. Seine Blase fühlte sich plötzlich voll und kaum kontrollierbar an. Er presste schmerzhaft die Beine zusammen.
    »Gute Hunde«, hörte er Fischbach neben sich sagen. »Ihr seid aber auch zwei Prachtexemplare! Labrador Retriever?«
    »Ja, das sind Boris und Becky. Sie sind ein Kenner?«, fragte eine unbekannte Stimme. Welscher blinzelte. Ängstlich schielte er auf die Hunde, die freudig um Fischbach herumsprangen und sich von ihm die Seiten klopfen ließen.
    »Kenner ist zu viel der Ehre«, antwortete Fischbach. »Ich habe mich mal eine Weile mit Hunderassen beschäftigt. Meine To–«, er brach ab, und sein Gesicht verfinsterte sich. »Es stand in der Familie mal zur Debatte, uns auch so einen Hund anzuschaffen«, vollendete er seinen Satz mit einem traurigen Unterton.
    Welscher öffnete die Augen ganz. Vor ihnen stand ein dynamisch aussehender Mann. Er trug bayerische Tracht, was aber nicht lächerlich, sondern stilecht wirkte. Der Mann lächelte, dennoch empfand Welscher Unbehagen. Vermutlich lag es an den stechend kristallklaren blauen Augen. Der Blick schien bis ins

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