Eifelbaron
»Außerdem wird sie nur bei Patienten angewendet, die durch die Schwere ihrer Erkrankung ohnehin zum Tode verurteilt sind. Wer kann da von Mord sprechen?«
Die Ablufthaube summte monoton und saugte den Kochdunst auf.
»Du sollst nicht töten, Exodus Vers 20, Zeile 13.« Fischbach reckte den Hals, um in die Pfanne zu sehen. »Eins der Zehn Gebote.«
Welscher sah ihn irritiert an. Dass sich sein Kollege auf einen solchen Schlagabtausch einließ, überraschte ihn.
»Die Worte eines Gesunden«, spottete Bauernfeind. »Können Sie sich vorstellen, so schreckliche Schmerzen ertragen zu müssen, dass man am liebsten sterben möchte?«
»Es gibt Schmerztherapien«, parierte Fischbach. »Davon abgesehen kann es bei der aktiven Sterbehilfe zu Komplikationen kommen, die ein schmerzhaftes Dahinscheiden bedeuten.«
»Selten.«
»Ist aber schon vorgekommen.«
Bauernfeind drehte das Gas ab und ging um den Herd herum. Die Hunde hechelten nun noch wilder. »Nachher seid ihr dran«, beruhigte er sie und verteilte dann gekonnt die Brotscheiben. »Meiner Meinung nach soll jeder selbstverantwortlich, unabhängig und frei über sich entscheiden können. Das schließt auch den Sterbezeitpunkt ein. Ein Recht der Selbstbestimmung in meinen Augen.« Er stellte die Pfanne auf den Herd zurück und setzte sich zu ihnen.
Fischbach kaute bereits. »Diagnosen sind aber nicht immer sicher«, nuschelte er mit vollem Mund. »Wie oft ist es schon vorgekommen, dass sich der eine oder andere doch noch von einer schlimmen Krankheit erholt hat.« Er deutete mit seiner Gabel auf Bauernfeind. »Nehmen Sie mal an, so jemand hätte die Sterbehilfe in Anspruch genommen.«
Bauernfeind schnitt sich eine Ecke seines Armen Eiflers ab und probierte. »Auf den Punkt«, urteilte er erfreut, als hätte er den genauen Garpunkt eines Steaks getroffen. »Die Würde des Menschen wird nicht dadurch gewährleistet, dass man ihn möglichst lange am Leben hält, Herr Kommissar. Sondern dadurch, dass man ihm unnötiges Leid und elendes Kranksein erspart.«
Fischbach kratzte die letzten Reste auf seinem Teller zusammen. Welscher hatte mit zunehmender Abscheu beobachtet, wie er das Essen in sich hineinstopfte. Als käme morgen eine Hungersnot. Ekelig. Welscher liebte es, seine Mahlzeiten zu zelebrieren. Langsam und genussvoll war seine Devise. Fast Food gab es für ihn nur zwischendurch im Dienst.
»Menschen sind verführbar«, sagte Fischbach. »Leidende Menschen wahrscheinlich besonders. Sie lassen sich zu einem unnötigen Sterbewunsch hinreißen.« Er faltete die Serviette zusammen und legte sie neben den Teller.
Bauernfeinds Augen strahlten. »Herr Kommissar, wir könnten so noch Stunden weitermachen. Sie haben Ihren Standpunkt klargemacht, er ist bei mir angekommen. Ich denke aber nun mal anders darüber, und das ist in unserem freien Land gottlob möglich. Jetzt mal Hand aufs Herz. Sie wollten doch nicht tatsächlich einen Disput über Sterbehilfe mit mir führen, oder?«
»Nein, nein.« Fischbach schielte gierig auf Welschers Teller. »Ein Unternehmer ist ermordet worden. Vielleicht haben Sie davon gehört?«
»Bruce Baron, ja, ich habe es heute Morgen in der Zeitung gelesen.«
Welscher schob Fischbach den Teller hin.
»Danke.« Fischbach fuhr sich mit der Zungenspitze genüsslich über die Lippen, und ein weiteres Stück Armer Eifler wanderte in seinen Mund. Mit einer Handbewegung wies er Welscher an, das Gespräch fortzusetzen.
»Baron war schwer krank. Er hätte bestenfalls nur noch Wochen zu leben gehabt«, berichtete Welscher. »Uns interessiert, ob er Sie vielleicht um Hilfe gebeten hat.«
Bauernfeind hörte auf zu kauen, schluckte und lachte dann lauthals los. »Moment mal. Sie gehen doch hier nicht dem abstrusen Gedanken nach, dass ich den Mord an ihm arrangiert haben könnte?«
»Eigentlich versuchen wir nur, uns in Barons Gedankenwelt einzufühlen, um dann daraus weitere Schlüsse ziehen zu können«, erklärte Welscher.
»Wie sieht so etwas genau aus?«, wollte Bauernfeind wissen und legte sein Besteck ab. Er stemmte seine Ellenbogen auf den Tisch und faltete die Hände.
Fischbach futterte ungerührt weiter.
»Nehmen wir an, Bruce Baron war bei Ihnen, um mit Ihnen über das Thema Sterbehilfe zu sprechen.« Welscher beobachtete Bauernfeind, der leicht nickte. Sein stechender Blick ging Welscher unter die Haut. »Dann wüssten wir, dass er vermutlich mit dem Gedanken spielte, vorzeitig aus dem Leben zu treten, und vielleicht auf die Idee
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