Eifelheiler (German Edition)
geklärt werden.«
Sie legte ihre Hände auf die Brust und atmete tief durch. »Sie haben
recht. Ich übertreibe.«
»Nein, nein«, wiegelte er ab. »Alles kann wichtig sein. Erzählen Sie
mir einfach, was Sie über Veronika Kramann wissen.«
»Sie war eine geborene Bartels. Ihr Mann ist bereits in den
Achtzigern verstorben. Ein Arbeitsunfall. Stromschlag, der arme Kerl.« Sie zeigte
mit der Hand in Richtung des Kramann-Hauses. »Seitdem lebte Vrönn ohne Mann
dort.«
»Gibt es Kinder? Verwandte? Freunde?«
»Eine Tochter. Eine Schwester hat sie auch. Die ist verheiratet und
wohnt nicht weit von hier. Vorletzten Dienstag war ich zu Vrönns
zweiundsechzigstem Geburtstag eingeladen. Sie waren alle da. Sogar der
verkommene Untermieter.« Ihre Miene gefror, die Lippen formten einen geraden
Strich. Bei der Erwähnung des Untermieters war ihre Stimme in den Eiskeller
gerutscht.
»Ein Untermieter?« Welscher rutschte unbehaglich auf dem Sessel hin
und her. Dass dort auf der anderen Straßenseite jemand mit Veronika Kramann
unter einem Dach wohnte, hätte er längst wissen müssen. Aber er hatte es
versäumt, ihren Eintrag im Melderegister zu überprüfen. Eine peinliche
Schlamperei. Er versuchte, seine Verlegenheit zu überspielen. »Offensichtlich
mögen Sie ihn nicht.«
Ihre Augen verfinsterten sich. »Er hat Vrönn ausgenutzt. Keine Miete
gezahlt und sie jeden zweiten Tag um Geld angebettelt. Ein ewiger Student, der
sich bei ihr eingenistet und sie wie ein Parasit ausgesaugt hat. So oft habe
ich ihr gesagt, dass sie ihn rausschmeißen soll, doch sie hat nicht auf mich
gehört. Keine Ahnung, was sie an dem Kerl so fasziniert hat.« Sie streckte das
Kinn vor. »Ich kann es nicht ausstehen, wenn man jemanden ausbeutet.«
Spontan wollte Welscher erwidern, dass sie als Investmentberaterin
doch sicherlich auch hin und wieder die Kunden über den Tisch zog. Doch er
verkniff sich die spitze Bemerkung. Stattdessen klopfte er mit seinem
Kugelschreiber auf sein Notizbuch. »Wie heißt er?«
»Frank Rethmeier. Er studiert an der TH Aachen
und bewohnt in Vrönns Haus ein möbliertes Zimmer.« Sie hob den Zeigefinger.
»Würde mich nicht wundern, wenn er der Geist wäre.«
Der Gedanke war Welscher auch schon gekommen. Ein junger Mann, der
immerzu nach Geld gierte, konnte auf die dümmsten Gedanken kommen. Er machte in
seinen Notizen einen Pfeil von »Geist« zu »Rethmeier«. »Konnte sich Frau
Kramann denn überhaupt leisten, jemanden zu unterstützen?«
»Ich habe mit ihr nie über ihre finanzielle Situation gesprochen.«
Welscher bedachte sie mit einem skeptischen Blick.
Sie lachte auf. Es hörte sich an, als ob ein defekter Auspuff
dröhnte. »Dürfen Sie mir ruhig glauben. Wenn ich mich hier in Kronenburg aufhalte,
bin ich Künstlerin, und nur Künstlerin.«
»Okay, verstehe. Aber sicherlich haben Sie mit Ihrem geübten
Investmentbanker-Blick trotzdem eine Einschätzung vorgenommen. So ganz aus
seiner Haut kann man da ja nicht, oder?«
In ihren Mundwinkeln formte sich ein listiges Lächeln. »Da haben Sie
recht.«
»Und? Ihre Einschätzung?«
»Sie schien nicht zu darben.«
»Bei ihr wäre also etwas zu holen gewesen?«
»Vrönn hat mir mal erzählt, dass sie keiner Bank trauen und ihr Geld
lieber im Haus verstecken würde. Ich vermute, dass ich nicht die Einzige war,
die sie ins Vertrauen gezogen hat.«
»Sie haben also doch über Geld gesprochen.«
Sie hob den Zeigefinger. »Ich nicht«, sagte sie bestimmt. »Sie ja.
Nichts anderes habe ich Ihnen mitgeteilt.«
»Ich sehe da aber keinen großen Unterschied.«
»Folgerichtig sind wir dann bezüglich dieses Punktes
widersprüchlicher Ansicht.«
Eine eiskalte Geschäftsfrau mit glasklaren Standpunkten, dachte
Welscher amüsiert und kratzte sich das Kinn. Unten in der Gasse hörte er
Feuersänger schimpfen. Irgendetwas ging ihm nicht schnell genug. »Wovon lebte
Frau Kramann?«
Larissa de Witt zögerte.
Welscher seufzte. »Haben Sie darüber auch nicht gesprochen? Wenn ja,
erzählen Sie mir einfach, was Frau Kramann Ihnen erzählt hat.«
»Das ist es nicht.«
»Was dann? Sie wird doch nicht etwa dem ältesten Gewerbe der Welt
nachgegangen sein. Und wenn, wäre es auch egal.«
»Sie war Heilerin.«
Welscher fiel der Kugelschreiber aus der Hand auf den Holzboden.
»Sie meinen sicherlich Heilpraktikerin«, sagte er und hob den Stift wieder auf.
Ihre Stirn legte sich in Falten. »Ich weiß ganz gut, was ich sage
und was nicht«, erwiderte sie scharf.
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