Eifler Zorn
sein.«
»Sandra, willst du dich
nicht lieber wieder setzen?« Ich betrachtete sie. Das Gesicht blass, die Lippen
mit bläulichem Schimmer überzogen. Bis hierhin witterte ich den metallischen
Geruch des Blutes. Sie musste ihn auch bemerken.
»Meinst du, ich kann das
hier nicht? Meinst du, nur weil du die mit der Erfahrung bei der Mordkommission
bist, könntest du alles besser?« Zornig blitzte sie mich an, gefror in der
Geste und begann zu weinen. »Arno«, flüsterte sie wieder. »Arno.«
Bauschutt knirschte, und aus
den Augenwinkeln sah ich Thomas’ Wagen. Demnach hatte er heute wieder
Bereitschaft. Er parkte, stieg aus und näherte sich uns pfeifend.
»Werden unsere morgendlichen
Treffen hier zur Gewohnheit? Ist die Eifel jetzt plötzlich eine Mördergrube?«,
fragte er und machte Anstalten, mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange zu
geben, als er Sandra sah und sofort ernst wurde. »Was ist mit ihr?«
Ich zeigte auf die Leiche in
der Baugrube. Thomas beugte sich vor, um besser sehen zu können.
»Scheiße.« Er wandte sich
Sandra zu. »Sandra?« Sie reagierte nicht. Starrte geradeaus, an ihm vorbei,
durch ihn hindurch. »Sandra?«, versuchte er es erneut. Ohne Erfolg.
»Kannst du ihr etwas
geben?«, fragte ich Thomas. »Zur Beruhigung?«
»Er ist gestern Abend nicht
nach Hause gekommen.« Sandras Stimme klang wie Stahl, kalt und glatt. »Wir
haben versucht, ihn zu erreichen, aber er ist nicht ans Telefon gegangen.«
»Davon hast du mir heute
Morgen, als ich euch abholen kam, gar nichts gesagt.«
»Warum sollte ich?«
»Du hast dir Sorgen gemacht.
Wir hätten nach ihm suchen lassen können.«
»Nein.«
Ich wechselte einen Blick
mit Thomas, der zu seinem Wagen gegangen war und seine Arzttasche herausgeholt
hatte.
»Hast du dich selbst
erkundigt?«, fragte ich Sandra. Sie kannte die Abläufe. Bekannte und Freunde.
Danach die Unfallmeldungen, dann die Krankenhäuser.
»Nein.« Sie sah mich an.
Klar und mit einer Offenheit, die mich erschreckte, weil sie neu war, zumindest
für mich. »Es war ja nicht das erste Mal. Er blieb öfter weg. Über Nacht. Ohne
sich zu melden.« Das Zittern kam wieder. Sie umklammerte ihre Oberarme. Die
blaue Farbe der Uniform ließ das Weiß der Fingerknöchel hervortreten.
»Möchtest du, dass ich Luisa
aus der Schule holen lasse?«
Sandras Blick wurde weich.
Sie schüttelte den Kopf, ohne mich anzusehen. »Nein. Lass ihr die wenigen
Stunden der gnädigen Unwissenheit.« Sie straffte sich. »Wir müssen auch erst
hier fertig sein.« Sie ging in Richtung Baugrube, das Gesicht unbewegt, wie in
Marmor gemeißelt.
»Sandra. Das ist nicht deine
Aufgabe«, versuchte ich es mit sanfter Stimme und hielt sie auf.
»Ich weiß, dass ich das
nicht machen muss. Ich will es aber.« Sie streifte meine Hand ab wie ein
lästiges Insekt.
Thomas zog eine Augenbraue
hoch, sagte aber nichts. Er überließ es mir, deutlicher zu werden.
»Sandra, ich glaube dir,
dass du etwas tun willst, aber in diesem Fall geht das nicht.« Ich ging ihr
hinterher. »Bitte sei vernünftig. Das Opfer ist …« Ich zögerte. »Arno war
dein Mann, da kannst du nicht in die Ermittlung eingreifen.«
»Stimmt. Ich bin potenziell
verdächtig.« Sie sah mich an. »Als Ehefrau. Wir wissen ja alle, dass die
meisten Morde Beziehungstaten sind und die meiste Gewalt in der Ehe
stattfindet.« Sie lachte bitter. »Was ist? Willst du mich direkt festnehmen
oder erst noch warten?«
»Sandra.« Ich räusperte
mich. Natürlich hatte sie recht mit dem, was sie sagte, aber ich würde sie
bestimmt nicht, kurz nachdem wir ihren Mann tot aufgefunden hatten, befragen,
während sie noch unter Schock stand. Zumal ich dafür nicht in Frage kam. Sie
war meine Kollegin. Auch ich war befangen. Das war eine Aufgabe, die
unbestritten in Judiths und Sauerbiers Bereich fiel, und ich würde dem sicher
nicht widersprechen. »Lass dir erst einmal von Thomas helfen. Dann sehen wir
weiter.« Thomas lächelte Sandra zu und streckte ihr seine Hand entgegen.
»Du kommst klar?«, fragte er
mich mit einem besorgten Seitenblick, während er Sandra sanft an der Schulter
fasste und sie zum Wagen begleitete. Ich nickte und sah mich um. Der Bauleiter
hatte die Leiche gefunden, als er heute früh als Erster auf der Baustelle
eingetroffen war. Er stand mit betroffener Miene am Rand der Baugrube und
wartete auf mich. Ich hatte ihn gebeten, mir zur Verfügung zu stehen, damit ich
seine Aussage aufnehmen und später an Judith weiterleiten konnte. Von
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