Eifler Zorn
der
Baggerführerin war nichts zu sehen. Vielleicht hatte sie einen Tag freibekommen
oder fing einfach später an zu arbeiten.
»Ich habe in meiner Praxis
angerufen«, erklärte Thomas, als er wieder neben mir stand. »Eine meiner
Helferinnen wird kommen, Sandra abholen und mit ihr nach Hause fahren. Sie ist
in ein paar Minuten hier. Solange achte ich auf sie.«
»Kann sie ein bisschen bei
ihr bleiben?« Die Vorstellung, Sandra allein in ihrem Haus zu lassen, behagte
mir nicht, aber ich musste hier vor Ort sein.
»Ja.« Er nickte. In seinem
Lächeln lag eine große Vertrautheit, und ich war froh über diesen kleinen
Moment der Intimität. Das war eines der vielen Dinge, die ich an ihm sehr
schätzte. Seine ungeheure Hilfsbereitschaft allen gegenüber, die diese Hilfe
brauchten. Einfach und unkompliziert. Dabei vernachlässigte er oft sein eigenes
Wohlergehen und arbeitete weit über das hinaus, was die Praxis und sein Beruf
von ihm verlangten. Das war auch einer der Gründe für den merkwürdigen Schwebezustand,
in dem sich unsere Beziehung befand. Wenn man sie denn überhaupt so nennen
konnte. Unsere Arbeitszeiten, Henrike, mein Vater, seine Kinder, zu denen er
trotz seiner Trennung weiter einen intensiven Kontakt pflegte – manchmal hatte
ich den Eindruck, dass sich die Welt gegen uns verschworen hatte. Und wenn wir
dann, allen Widrigkeiten zum Trotz, ein Treffen zustande brachten, waren wir
oft zu erschöpft, um große Unternehmungen zu starten.
»Warum hat der Arzt den
Totenschein noch nicht ausgefüllt?«, unterbrach eine Stimme meine Gedanken, und
ich wandte mich um, obwohl ich, auch ohne hinzusehen, wusste, wer sich da
empörte. Sauerbier stand neben Sandra am Polizeiwagen, den rechten Arm lässig
auf die offene Wagentür gelehnt, die andere in den Taschen seines alten
Trenchcoats versenkt. Mehr denn je erinnerte er mich an den alternden Columbo,
und ich ärgerte mich, weil ich wusste, dass er genau das bezweckte.
»Weil zuerst die Kollegin
seinen ärztlichen Beistand brauchte, Herr Sauerbier«, sagte ich lauter als
unbedingt notwendig und ging auf ihn zu. Bei Horst Sauerbier war ich in all den
Jahren hartnäckig beim »Sie« geblieben. Normalerweise duzte man sich unter
Polizeikollegen, vor allem, wenn man an der gleichen Sache arbeitete.
»Tatsächlich, Frau Weinz?«
Dito. »Die Kollegin ist krank? Dann haben sicher Sie für einen reibungslosen
Ablauf gesorgt? Geben Sie mir bitte, was Sie an Aussagen haben.«
Von ihm kam nicht mal ein
»Guten Morgen«. Typisch.
»Ich habe mich ebenfalls
erst um die Kollegin gekümmert, Herr Sauerbier. Der Tote ist ihr Mann.«
»Oh. Das ändert einiges.« Er
sah Sandra an. Für einen Moment zeigte sein Gesicht Mitleid, bevor er sich
wieder an mich wandte. »Dann nehmen Sie die Personalien bitte jetzt auf.
Zeitnah.«
Ich schluckte eine bissige
Bemerkung herunter. Die Schutzpolizei war nicht die Serviceabteilung der Kripo,
auch wenn Sauerbier das in meinem Fall vermutlich gern so hätte. Mein Handy
vibrierte. »Ja«, meldete ich mich knapp, weil ich sah, dass der Anruf von der
Wache in Schleiden kam.
»Ina?«
»Am Apparat. Hast du die
Schule erreicht?« Ich hatte den wachhabenden Kollegen gebeten, dort anzurufen,
um zu fragen, wann Luisa Schulschluss hatte, und dafür zu sorgen, dass ein
Wagen sie abfing und so schnell wie möglich nach Hause brachte.
»Ja. Alles erledigt. Aber
deshalb rufe ich nicht an.« Er räusperte sich. »Du hattest mich doch gestern
gebeten, die IP des Computers zu überprüfen, von
dem aus die Mail an die Nationalparkverwaltung geschrieben wurde. Wegen der
Feuer im Wald.«
»Ja. Hast du schon was? Das
ging aber schnell. Gut!«
»Danke.« Er zögerte. »Aber
das Ergebnis wird dir vermutlich nicht gefallen.«
»Wieso?«
»Der Computeranschluss ist
auf Arno Kobler zugelassen.«
SIEBEN
Kleine spitze Steine bohren sich durch die Sohlen seiner Schuhe,
während er der Frau folgt. Die Straße erstreckt sich schnurgerade vor ihnen.
»Bahnhof Gemünd« hat auf dem Schild gestanden, als sie aus dem Zug gestiegen
sind. Mehr als fünf Stunden sind sie bereits unterwegs, von Elberfeld über Köln
bis hierher in diesen kleinen Ort, und die Frau hat nur wenig mit ihm
gesprochen. Auf seine Fragen nach dem Warum und Wohin hat sie mit knappen
Antworten reagiert, bis er aufgab und seinen rasenden Gedanken freien Lauf
gewährte. Er hat schon davon gehört. Von Jungen und Mädchen, die aus ihren
Familien herausgenommen und der Fürsorge übergeben werden,
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