Eifler Zorn
und die Bagger alles
niederreißen würden. Auf der Wallenthaler Höhe bog sie nach rechts ab und
folgte der Anweisung ihres Navigationsgerätes, das sie durch Kall über Broich
nach Schleiden führte. Sie kannte sich seit ihrem Praktikum zwar einigermaßen
in der Gegend aus, aber wo Sauerbier genau wohnte, hatte sie sich nicht
gemerkt. Trotz Navi brauchte sie einige Zeit, bis sie das richtige Haus in der
abgelegenen Straße gefunden hatte. Die Genauigkeit der Geräte ließ genau wie
der Handyempfang an einigen Stellen der Eifel doch sehr zu wünschen übrig.
»Ich bin noch nicht so weit,
Mädchen. Komm erst mal rein«, begrüßte er sie an der Tür, drehte sich um und
verschwand wieder in den dunklen Tiefen des Hausflurs. Der Duft von Kaffee und
frischen Brötchen ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Wenn Kai da war,
gab es kein Frühstück. Er aß morgens nichts. Seine einzige gesicherte Mahlzeit
war das Abendessen. Er hatte Schwierigkeiten mit allen Arten von Essen, und das
machte es auch ihr schwer. Sein Essverhalten spiegelte seinen Gemütszustand.
Ging es ihm schlecht, magerte er ab, ging es ihm gut, konnte er mehr und mehr
Lebensmittel vertragen. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihn diesmal zu
unterstützen, ihn ans Essen zu erinnern und es ihm im wahrsten Sinne
schmackhaft zu machen, befürchtete aber, dass ihre Vorsätze an Dienstplänen,
Einsätzen und Überstunden scheitern würden, die ihr keine Zeit zum Einkaufen
ließen. Dabei hätte sie ihn gerne mit ihren Leibspeisen überrascht und
vielleicht davon überzeugt.
»Setz dich.« Sauerbier
faltete die örtliche Zeitung zusammen, auf der sie ein Bild der Abrissbaustelle
sehen und eine erstaunlich wenig reißerische Schlagzeile lesen konnte.
»Ich hab gar nicht
mitbekommen, dass die da waren«, sagte sie und zeigte auf die Zeitung.
»Ich hab mich darum
gekümmert. Man muss ja ein wenig die Hand draufhalten, was so geschrieben
wird.« Er stellte einen Teller und eine Tasse vor sie hin und goss ihr, ohne zu
fragen, Kaffee aus einer Thermoskanne ein. »Hier. Helga ist schon auf der
Arbeit, du musst also mit dem vorliebnehmen, der noch da ist.«
Sauerbier gehört wirklich
zum alten Schlag Mann, dachte Judith und machte innerlich ein weiteres Häkchen
auf ihrer Liste. Sie verkniff sich den Vorschlag, die Kaffeemaschine doch
einfach selbst zu bedienen. »Danke schön, aber ich wollte eigentlich sofort
weiter.«
»Um was zu tun?«
»Mich mit dem Mordfall
beschäftigen?«
»Genauer bitte.« Sauerbier
bestrich sein Brötchen mit Butter und trug dann sorgfältig eine dicke Schicht
von etwas auf, was sich in einem Gurkenglas befand, aber eindeutig nichts mit
Gurken zu tun hatte. »Gelee?«, fragte er und reichte ihr das Glas. »Sehr gut.
Selbst gemacht. Holunder. Ich sammele, und Helga kocht.« Er schob den Brotkorb
näher zu ihr. »Also, ich höre.«
Judith schaute irritiert auf
die Brötchen.
»Welche Schritte willst du
als Nächstes unternehmen?«
»Ich habe heute Morgen mit
der Rechtsmedizin telefoniert. Sie konnten noch nicht viel sagen, außer dass
Dr. Breitenbacher richtig lag mit seiner Aussage, was die Fettwachsleiche
angeht.«
»Inwiefern?«
»Der Tote, ein circa
fünfzehnjähriger Junge, muss schon länger tot sein. Laut Auskunft des
Rechtsmediziners dauert es mindestens acht Wochen bis zu einem halben Jahr, bis
sich das Leichenlipid ausbildet, meistens kann man aber von Jahren ausgehen. In
unserem Fall sieht es nach Jahren aus, weil der Prozess vollständig abgeschlossen
ist. Zuerst bildet sich eine Art Paste, grauweiß, die ranzig riecht, bevor sie
dann mörtelartig und hart wird.«
»Hat er noch mehr gesagt?«
Sauerbier griff zur Pfälzer Leberwurst.
»Diese Art der Mumifizierung
führt dazu, dass der Köper äußerlich und von innen gut erhalten bleibt.«
»Du sollst mir keinen
Vortrag halten, sondern sagen, was das mit unserem Fall zu tun hat.« Er biss in
die Brötchenhälfte. Einzelne Krümel blieben an seinem Schnurrbart hängen.
Judith starrte darauf und spürte, wie ihr vor Hunger brummelnder Magen
schlagartig verstummte. Sie riss sich von dem Anblick los und fuhr fort.
»Forensisch bedeutsame Befunde können dadurch noch erkennbar sein. Also ob er
erwürgt wurde oder erschlagen zum Beispiel.«
»Und? Wurde er das?«
Sauerbier trank noch einen Schluck Kaffee, wischte sich mit einer
Stoffserviette, die neben seinem Teller gelegen hatte, über Mund und
Schnurrbart und stand, nachdem er die Serviette sorgfältig gefaltet
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