Ein Abenteurer und Gentleman (Historical My Lady) (German Edition)
er hatte die Fassade aufrechterhalten, da er sie, wie er fand, mehr denn je brauchte. Wenn er den Menschen und besonders seinen wenigen echten Freunden erlaubte, hinter die Albernheit, das neckische Geplänkel, hinter seine vorgebliche Faszination für Eitelkeiten und Modetorheiten zu sehen, entdeckten sie möglicherweise die Dunkelheit in seiner Seele, die Taten, die er verübt … die Fehler, die er gemacht hatte. Und den einen absolut unverzeihlichen Fehler …
Er war allein … meistens war er allein. Jemanden an sich heranzulassen, war ihm nicht mehr möglich. Aus dem Grunde hatte er sich vermutlich auch so rasch mit dem Gedanken angefreundet, auf Geheiß des Prinzregenten zu heiraten. Besser eine Fremde als eine Frau, für die er Gefühle hegte. Besser eine Frau, die nicht daran interessiert war, ihn wirklich kennenzulernen; eine, für die er ebenso keine Zuneigung hegte. Ein alter Titel, ein schöner Wohnsitz, ein großzügiges Nadelgeld, diskretes Übersehen von Seitensprüngen, wenn erst ein Erbe geboren war, und die Aufnahme in die höchste Gesellschaft. Das sollte wohl jeder Gattin genügen.
Als er aus seinen Gedanken auftauchte, merkte er, dass sie an der Pier angekommen waren und Brutus gerade zur Seite trat, um ihm die Sicht auf das Schiff freizugeben. War das ein roter Teppich, der die Gangway entlang bis auf den Kai ausgerollt wurde? Gott, tatsächlich! Und da, an dem dicken Seil, das als Geländer diente, prangten Schleifen mit langen flatternden Bändern!
Justin, Wigglesworth, Brutus und das Volk, das ihnen hinterhergelaufen war, betrachteten das Schauspiel, wie ein ganzer Trupp strammer Gardisten in Paradeuniform mit gefährlich spitz aussehenden Hellebarden in den Händen die Schiffsplanke hinabmarschierte und sich rechts und links des roten Teppichs in Habachtstellung aufbaute.
Die Menge verrenkte sich den Hals, um zu sehen, was als Nächstes kommen werde.
Zuerst erschienen zwei nicht mehr ganz junge Frauen in nicht besonders auffallenden Gewändern, Gesellschafterinnen vielleicht. Sie stellten sich am Ende der Gangway auf. Nach ihnen kam ein hochgewachsener Mann von etwa Mitte dreißig mit riesigem Schnurrbart und buschigen Koteletten, wie sie am österreichischen Hofe zur Zeit gern gesehen waren. Auch er trug Uniform, und aus der Menge der Abzeichen und dem hoch aufragenden Helm schloss Justin, dass er einen besonderen Rang bekleidete. Seine lebhaften blauen Augen schienen alles genau aufzunehmen, und er musterte die Menge prüfend, ehe er seinen durchdringenden Blick auf Justin heftete.
„Meine Güte, Wigglesworth, was für ein Prachtexemplar! Was meinen Sie, sollte ich mich furchtsam ducken?“
Mit einer knappen Bewegung warf der Mann eine Seite seines kurzen, mit Goldschnürung versehenen Capes über die Schulter zurück und schritt, eine Hand am Degengriff, sicheren Fußes über die Planke auf Justin zu. Seinen Paradehelm absetzend schnarrte er: „Baron Wilde?“
Justin beantwortete die Frage mit einem knappen Neigen des Kopfes.
„Sehr erfreut, Mylord. Ich bin Major Luka Prochazka, Emissär seiner Hoheit Franz I., von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König zu Jerusalem, Ungarn …“
„Danke, Major Prochazka, mir sind all seine Titel bekannt.“ Unter schweren Lidern hervor musterte er die beiden Reihen Bewaffneter, wobei er sein Gähnen hinter einem spitzengesäumten Seidentuch verbarg, das er aus dem Ärmel gezogen hatte. „Sagen Sie mir doch, Major – und ich frage nur aus reiner Neugier –, erwarten Sie unmittelbar, angegriffen zu werden? Soll ich meinen Mann hier …“, er deutete auf Wigglesworth, „… losschicken, um meinen Degen zu holen?“
Der Major setzte eine düstere Miene auf. Er trat näher und fragte leise, doch nachdrücklich: „Sind Sie nicht informiert? Man sagte mir, dass Sie es wären und entsprechende Vorkehrungen treffen würden. Ihre Ladyschaft ist in Gefahr. Wo sind Ihre Wachen, Sir?“
Möge der Herr mich vor pompösen Offizieren bewahren, dachte Justin. Mit einer nachlässigen Handbewegung wies er auf Brutus. „Darf ich vorstellen, meine Armee.“ Und zu Wigglesworth gewandt: „Nichts für ungut, mein Freund, Sie haben Ihre ganz eigenen Talente.“
Offensichtlich war der Major nicht erfreut. „ Ein Mann? Ein einzelner Mann soll Ihre Verlobte beschützen?“
„Ein sehr großer Mann immerhin, da stimmen Sie doch zu? Und dann bin ich ja auch noch da“, entgegnete Justin träge.
Luka Prochazka musterte Justins modisch gewandete
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