Ein anderes Leben
gemütliche Reykjavík lag; vage erinnert er sich an einen früheren Besuch auf Island. Im Jahr, nachdem er selbst den Literaturpreis des Nordischen Rats erhalten hat, wird er in die Jury berufen. Sie wohnen im Hotel Saga, ein Mittagessen mit der Präsidentin, Kaffee zu Hause bei Laxness. Der Leiter des Nationaltheaters, das seine Stücke gespielt hat, spricht mit ihm über weitere Zusammenarbeit.
All dies liegt jenseits der Vernunft. Vielleicht irgendwo verborgen in der unerhörten isländischen Dunkelheit. Vielleicht hat er es geträumt, es geht ihn auf jeden Fall nichts mehr an, damals ging es um einen anderen , vielleicht den Totjungen. Wie erinnert er sich nicht an damals, als er, noch nicht tot, sondern im Schoß der Mutter ruhend, aus dem Obergeschoss hinuntergetragen wurde, unne Åke Sehlstedt hatt’ unten am Fußende getraang! Dieser Tote war sicher derjenige, der geistreich mit Vigdis, der Präsidentin, konversiert hatte. Wenn es das Damals je gegeben hat. Ein Tagtraum bestimmt, auf jeden Fall ist er jetzt eingeschlossen in der isländischen Hölle, und der Schnee ist schmutzig, und sicher liegt es an der Lava.
Er ist verbittert darüber, dass er sich die Promille nicht gemerkt hat. Es ist sicher persönlicher Aufnahmerekord.
Er wird in den ihm inzwischen gut bekannten, fest organisierten Unterricht eingeführt, der darauf abzielt, ihn zu brechen und an seinen tiefsten Punkt zu bringen und ihn seine Lebenslügen erkennen zu lassen.
Aber er ist sofort bereit, alles mitzumachen, nur mit der Sprache ist es schwierig.
Alles läuft hauptsächlich auf Englisch ab – er ist nicht sicher, er führt kein Tagebuch, er passt sich nur an, vielleicht spricht man Skandinavisch, vielleicht Isländisch, er erinnert sich nicht – aber er kennt noch notdürftig die Schlüsselbegriffe von der M 87 und der Lektüre im Großen Buch. Die Kameraden schweigen die meiste Zeit. Diejenigen, die Isländisch sprechen, spielen immer Poker. Einer von ihnen, ein glatzköpfiger Mann an die Fünfzig, mit drohend schwellendem Oberkörper und tätowierten Armen, hat das Gesicht voller Beulen. Es sieht grauenhaft aus. Man erzählt, dass er an der Spritze hänge und Aids habe und nur noch ein Jahr zu leben habe, deshalb auf Kosten des isländischen Staats hier verwahrt werde, weil ein Ansteckungsrisiko vorliege.
Der Glatzköpfige sagt nie etwas, starrt aber den Neuankömmling an. Bestimmt Vergewaltiger.
Es ist auf jeden Fall logisch. Verwahrung unter den Verdammten.
Er wacht gehorsam jeden Morgen um sieben Uhr auf und weiß, dass er sich in der Hölle befindet, aber dass auch dies einmal ein Ende haben muss. Ob es schnell kommt oder als in die Länge gezogene Qual, weiß er nicht. In den Pausen starrt er an die Wand. Er zieht eine Summe seines Lebens und versucht sich zu erinnern, ob es ein Leben gewesen ist. Wenn er versucht, den Wohltäter durch Ansprache für einen kurzen Augenblick zum Leben zu erwecken, misslingt es völlig. Er glaubt, dass er deshalb in Tränen ausbrechen wird, doch nicht einmal das. Was sollte er im übrigen berichten. Sein Vater braucht wohl nichts über isländische HIV-infizierte Vergewaltiger, die nur starren, zu lernen. Besser ihn verschonen.
Er wird als gehorsamer Insasse bezeichnet.
Seine Passivität verblüfft die Leitung, man hat sie vor dem Gegenteil gewarnt, aber er hat nicht die Kraft für noch einen Konflikt. Er kapselt sich ein. Alle Schmerzpunkte sollen jetzt eingekapselt werden. So macht man es in der Hölle, das ist seine neue und interessante Einsicht, und er denkt sich deshalb die Hauptlinien eines theologischen Etikettenbuchs zur Unterstützung und Hilfe der Verlorenen aus, die am Jüngsten Tag in der Hölle landen. Kann ein Bestseller werden. Auch wenn die Hölle ewigkeitslang ist, so bedarf es doch praktischer Ratschläge und Anweisungen für die Verdammten, damit sie sich die Zeit vertreiben können. Ein Etikettenbuch für die Unvorbereiteten. Das hatte ihm ja in Uppsala geholfen.
Die Regeln sind streng, kaum überraschend. Keine Telefongespräche, keine Briefe, kein Fernsehen, keine Zeitungen, keine Bücher. Absolutes Verbot, die Behandlung abzubrechen. Ist er wirklich zwangseingewiesen? Keiner antwortet, aber es hat den Anschein, als hätte er besser nicht gefragt. Drückt aus, dass er sich fortsehnt! Oder mangelnden Ehrgeiz! Im übrigen, wie sollte man aus dieser Hölle in dieser ewigkeitsweiten Ebene im Dezember in Island fliehen können?
Aber etwas in ihm erwacht langsam zum
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