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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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Wagen, was glaubten sie eigentlich, dass er zurückkäme?
    Er war allein mit sich selbst in der isländischen Dunkelheit und unmöglich einzufangen. Sie hatten sich getäuscht. Er ließ sich nicht einfangen.
    Er lief vielleicht fünf Minuten, verlangsamte allmählich das Tempo und begann zu gehen. Die Lichter vor ihm waren noch immer sehr weit entfernt. Er wandte sich nicht um. Plötzlich spürte er, wie müde er war. Vielleicht hätte er jetzt Hilfe und Wegweisung durch den Wohltäter nötig gehabt, aber es war, als stünde ein solcher nicht mehr zur Verfügung. Er war vollständig allein mit sich selbst. Es war so verdammt ungerecht. Irgendwann in seinem Leben war er eingefangen und mit einem dünnen Zwirnsfaden an dieses Gift gefesselt worden, der sich dann zu einem Seil ausgewachsen hatte, zu einer Eisenkette.
    Aber wann war er gefesselt worden?
    Diesen Punkt konnte er nicht finden. Und wenn es einen Gott gab, dann war er nur rasend wütend auf ihn, denn er hätte zumindest erzählen können, wie die Befreiung funktionierte. Nicht nur diese höllischen Prüfungen ohne Sinn. Und er war jetzt der festen Gewissheit, dass der Prophet Hiob genauso rasend wütend gewesen war über diese sinnlosen Prüfungen und es in den Texten niedergeschrieben hatte. Hiob war das Beste im Alten, das hatte er immer gefunden.
    Aber kein Laut vom Herrscher des Weltalls. Und er war mitnichten schwerhörig. Aber er war vollständig allein. Das war es vielleicht, was das vom Quälgeist Ausspekulierte war.
    Zehn Minuten ging er immer langsamer. Inzwischen waren die Lichter hinter ihm auch sehr weit entfernt, und die vor ihm waren nicht näher gekommen. Unter dem Schnee jetzt offenbar Steine und Felsblöcke, er begann zu stolpern, es war nicht mehr so leicht voranzukommen. Er fiel einmal, und blieb liegen. Klares Wetter in dieser Nacht. Man sah die Sterne, aber kein Nordlicht.
    Wohin war es verschwunden.
    Er war plötzlich sehr müde.
    Die Kälte fühlte sich warm an und die Füße gar nicht so nass, wie man hätte erwarten können. Er rollte sich auf den Rücken und sah zum Sternenhimmel auf. Er war klar. Er nahm Maß am Großen Bären, zog eine Linie und fand den Polarstern. Dort war Norden. Hej hej. An seinem Platz, wie man hatte hoffen können, wenn dies der Moment war, da es geschehen sollte. Frei werden oder aufgeben. Eins von beiden. Dort oben steuerte Blixt Gordon neuen Aufträgen entgegen, und hier unten lag er selbst und wartete auf eine Botschaft von den Sternen oder von der Himmelsharfe: die Antwort auf die Frage, ob er für eine Weile einschlummern sollte, oder aufstehen und versuchen, stolpernd in ein anderes Leben zu gelangen.
    Wäre er nicht so vergiftet, gäbe es vielleicht ein anderes Leben.
    Er könnte sich ja hier im Schnee im Herzen von Island ausruhen. Es wäre wohl eine friedliche Art zu sterben, auf einer Ebene im Inneren von Island einzuschlafen. Den schönsten Tod, den er kannte, hatte ja Finn Malmgren bekommen, oben im Eisgrab in der Arktis. Er hatte nicht mehr weiter gekonnt, und da hatten die italienischen Kameraden ihm die wärmenden Kleider ausgezogen, ein Eisgrab ausgehauen und ihn lebend dort hineingelegt. Und so starb er, ruhig und still, nach dem zu urteilen, was aus dem Band Von Pol zu Pol hervorging. Den man in der Schulbibliothek ausleihen konnte, was er selbstverständlich getan hatte. Und das Eiswasser war über Finns Gesicht gelaufen und hatte eine Eishaut gebildet.
    So dachte er sich den Tod. Hatte ihn sich immer so gedacht: Überfroren, den Blick zum Sternenhimmel gerichtet. Es war rein und schön. Nicht an etwas Lächerlichem im Bauch zu sterben. Oder im Bauch der Mutter, von der Nabelschnur erdrosselt. Vielleicht war er deshalb hierhergekommen, in die isländische Hölle. Um vor der Methode zu fliehen und diesen Ort aufzusuchen, der die Mitte war, und sich hier hinlegen zu können, eine kürzere Zeit, für eine wohlverdiente Ruhe, die offenen Augen zum Himmel gewandt – und zu Blixt Gordon. War es nicht so, dass der Sterbende gerade in den letzten Minuten durchkam , die wunderbare Macht des Erlösers erfuhr, Vergebung und Errettung und wunderbare Gnade erlangte? Er lag still und schloss probeweise die Augen, kam aber nicht durch. Blixt Gordon war wohl im Weg.
    Er fühlte, wie schön es war. Aber dennoch war da etwas, das nicht stimmte. Es war wie ein kleiner Knoten im Bauch, der nein sagte. Nein nein nein. Habe ich nicht die Reste meiner selbst zusammengesucht, um zu fliehen, und habe ich nicht

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