Ein anderes Leben
Gefangenenwärter, die ihn wieder einmal errettet hatten vor dem anderen Leben, das zu verlassen er jetzt das Privileg hatte.
Es ging ja nicht.
Der Eingefangene und schließlich aus dem Gefängnisloch oder dem Schloss in Huddinge Entflohene sank weiter. Er fiel und fiel, am Ende sahen alle – nicht nur seine verzweifelte Frau und seine Kinder –, dass es nicht ging. Kein Wunder, dass sie verzweifelte Auswege suchten, die ihn fast vernichten sollten.
Das zweite Schloss lag auf Island, fünfundachtzig Kilometer nördlich von Reykjavík, es war kein Schloss, auch kein Gefängnis, nur eine Entzugsanstalt für Alkoholiker.
Er erinnert sich schwach an eine Flugreise, er wird wach, er weiß nicht, wohin er unterwegs ist, Lone sitzt neben ihm, sie sagt, dass sie bald landen werden. Wo denn, fragt er mit einer unerhörten Kraftanstrengung, Reykjavík, antwortet sie, er schläft umgehend wieder ein. Auf Island gibt es ein Behandlungsheim, das, indem es nach dem einzigartigen und international gepriesenen Minnesota-Modell vorgeht, hier jedoch in privater Regie, ihn retten würde vor dem endgültigen Untergang.
Na super!
Doch es ging ja nicht mehr.
Sie hatten die Reste von ihm zusammengefegt und einen Platz in diesem Behandlungsheim auf Island beschafft. Es heißt, er habe wüst protestiert. Wieder einmal waren Flugzeiten verpasst worden. Am selben Morgen, an dem der Flug in die Internierung abgehen sollte, zerbrach ihm eine Zahnbrücke, er wurde froh, glaubte sich gerettet. Eine Sofortbehandlung vernichtete die Hoffnung auf Rettung. Ein Loch in der Zahnreihe klaffte ebenso groß wie seine Angst. Jede Zelle seines Körpers schrie im Protest dagegen, interniert zu werden, und besonders in einer Klinik auf Island. Von Island konnte man nicht fliehen. Er vermutete, in kurzen Augenblicken der Einsicht, dass man deshalb Island gewählt hatte.
Lone begleitete ihn und lieferte ihn ab. Er konnte ihr unfassbares Durchhaltevermögen noch nicht schätzen. Er war nur verzweifelt, und betrunken. Auf der Fahrt im Taxi achtzig Kilometer über die isländische Ebene redete er mechanisch über absurde Romanpläne und fiel brabbelnd in Schlaf, um nach wenigen Minuten wieder wach zu werden und ins Dunkel hinauszustarren. Er war auf dem Weg in seine isländische Verwahrung.
Ohne Verwunderung stellte er fest, dass er jetzt in der Hölle war.
Die Anlage war alt und heruntergekommen, das bedeutete wenig. Sie hätten ihn in einem Erdkeller einsperren können. Es war die erste Woche im Dezember 1989, das große Revolutionsjahr ging seinem Ende zu, und er sollte fünf Wochen hier bleiben.
Wenn er lebte, sollte er im Januar entlassen werden.
Riecht es nicht nach Formalin in der Anlage? Man bewahrt die Leichen der Selbstmörder bestimmt im Kühlraum auf. Seine Aufnahmepromille werden ihm mitgeteilt, aber gegen seine Gewohnheit vergisst er sie und will nicht noch einmal fragen. Der Speisesaal ist leer, er wird auf einen Stuhl gesetzt und bekommt ein belegtes Brot mit Milch. Lone hat einen Brief hinterlassen, den sie im Flugzeug geschrieben hat. Er ist schön und liebevoll und atmet Optimismus. Seine Zunge rotiert hilflos in der leeren Zahnlücke. Einige Isländer gehen nach links an ihm vorbei, und ein Pfleger bewegt sich in die entgegengesetzte Richtung. Das hat sicher etwas zu bedeuten. Er faltet den Brief über die helle Zukunft zusammen. Ein Pfleger bittet ihn, nach seinen Schuhen sehen zu dürfen, behält sie, kommentiert aber nicht ihr Aussehen, was ihn verwundert, bis er versteht. Die Anlage liegt mitten in einer gigantischen Ebene und beherbergt dreißig Insassen. Der Horizont ist während der kurzen hellen Stunden bewundernswert frei, wenn man es so sehen will. Wie frei konnte ein Horizont sein. Wie fühlte sich ein Horizont, der frei war? Der nächste Tag war wieder ein Tag. Man sollte, der Methode zufolge, jeden Tag für sich nehmen und sich für das loben, was nicht so groß war, also nur diesen einen Tag ohne den Alkoholteufel.
Um elf Uhr am folgenden Tag sah er den freien Horizont vor seinen verstummten Augen aufgehen und verstand, dass er endgültig eingefangen war.
Er saß fest.
Die Schuhe verschwunden.
Während der kurzen, hellen Stunden in der Tagesmitte konnte er durch die kleinen Fenster eine ziemlich verschmutzte, teilweise schneebedeckte Ebene erkennen.
Vielleicht war darunter Gras oder Lava. Der Schnee war schmutzig, und er verstand nicht, warum. Weiter entfernt eine Gebirgskette, hinter der vielleicht das
Weitere Kostenlose Bücher