Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
nur unangenehm und schwer ist, aber nicht bis über die Ohren geht, werden noch Ohrenstöpsel verteilt. Dann ziehe ich meine Weste an. Sie wiegt 18 Kilogramm und trägt sich so bequem wie ein in Blei gegossener Dackel, der einem um den Oberkörper geschnallt wird. Interessant ist, dass nur wir Zivilisten die Weste im Flieger tragen sollen. Die Soldaten hingegen tragen ihre Westen nur über dem Arm. Fallschirme bekommen wir nicht. Was bringen dann die Westen? Im Ernst: Wenn wir in der Luft abgeschossen werden, dann schützt mich die Weste ja wohl nicht vor dem Aufprall auf den Boden aus dreitausend Meter Höhe. Der Helm schon eher, der wirkt stabil. Und die Lederbändchen, die ihn unterm Kinn fixieren, saugen den Schweiß ganz gut auf. Ich müsste also im Fall der Fälle darauf achten, dass ich möglichst auf dem Kopf lande. Oder auf der Tasche. Aber eigentlich will ich gar nicht abgeschossen werden. Die anderen auch nicht. Der Kameramann Carsten macht seine Weste nicht einmal zu. Die Klettverschlüsse baumeln an ihm herunter. Er war schon zweimal in Afghanistan und hat dort für die ARD gedreht, ein alter Hase. Ich würde auch gerne lässig die Weste öffnen, aber ich weiß nicht, wie das geht. Und außerdem fürchte ich mich ein wenig davor.
Ein Soldat hält eine kurze Rede. Ich verstehe aber nichts, weil ich schon die Ohrenstöpsel in den Ohren habe. Wir steigen ein. Beim Einsteigen stolpere ich über die Ketten, an denen das Gepäck festgezurrt ist.
Pass auf, sagt mein Manager, das hat er doch eben gesagt!
Ich werde auf eine Stoffsitzbank an der Flugzeugwand gedrückt und setze mich. Es ist unglaublich laut. Es riecht nach Öl, Kerosin und Schweiß. Ich glaube, hauptsächlich nach meinem Schweiß. Ich kann mich nicht bewegen. Mein Helm rutscht, und unter der Weste juckt es unglaublich. Was mache ich hier?
Im Gegensatz zu früher weiß ich heute: Eine Transall ist ein Flugzeug und kein Raumschiff. Es ist ein Bundeswehrflugzeug, mit dem Waffen und Menschen transportiert werden.
Mit meinem Helm, der von oben drückt, und der Weste, die von unten hochrutscht, fühle ich mich wie jemand, dem man ein zu enges Aquarium über den Kopf gestülpt hat und der dabei Flüssignahrung eingeflößt bekommt, der dadurch aufquillt und immer dicker wird und der nicht einmal mehr lachen kann, weil es zu wenig Platz für das fette Gesicht gibt.
In einer Transall gibt es weder Tomatensaft noch süß oder salzig. Die Stewardess ist ein Soldat, der hier Lademeister heißt und einen Scheiß darauf gibt, ob man angeschnallt ist oder nicht. Ich bin angeschnallt. Aber das ist nicht das Verdienst der Bundeswehr, sondern schlicht und einfach Glück.
Mir gegenüber sitzt mein Team. Sie sehen aus wie gesprengte Mainzelmännchen. Ich will mich nicht sehen, aber es ist schon zu spät. Christian, der Fotograf, hat mich im Visier. Und bevor ich protestieren kann, blitzt es auch schon.
Die »gesprengten Mainzelmännchen«
Ich muss daran denken, ihm in der Nacht die Speicherkarte zu klauen und sie zu vernichten. So soll mich keiner sehen, so lange ich lebe.
Doch wenn es so weitergeht, dann wird diese Zeitspanne nicht mehr allzu groß sein.
Ich versuche meine Beine auszustrecken. Das geht nicht, weil direkt vor mir das Gepäck der Soldaten verzurrt ist. Es sind nur noch wenige Minuten bis zur Landung in Mazar-e Sharif, der aus Funk und Fernsehen bekannten Ortschaft. Wenn über Mazar-e Sharif berichtet wird, sieht man allerdings keine Strandbilder und dicken Urlauber, die sich darüber beklagen, dass Kakerlaken auf den Zimmern sind und der Spießbraten nicht wie in Deutschland schmeckt. In diesem Fall sieht man in den Beiträgen immer nur Soldaten, Panzer und Zelte.
Die Maschine setzt zur Landung an. Im Steilflug geht es nach unten. Mir wird schlecht. Der Lademeister grinst mich an. Er sagt etwas. Ich glaube Na, Krömer! Alles gut? Durch die Ohrenstöpsel hört es sich aber an wie Na, Oma! Biste tot?
Peter Kümmel
Der Innenraum des Propellerflugzeugs hat etwas von einer verdunkelten, grün verhängten Höhle, fast könnte man ihn für eine Theatergarderobe halten. Zumindest nun, wenn man neben Krömer sitzt, denn Krömer hat eindeutig etwas Theaterhaftes an sich. Er trägt einen Tropenanzug und darüber eine schusssichere Weste; auf dem Kopf hat er einen Schutzhelm; er trägt gleich zwei Kostüme übereinander, sein privates, in dem er diese Afghanistan-Reise unternimmt, und darüber das Kostüm des Krieges. Und er ist umgeben von
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