Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Menschen in Kostümen. Sehen wir uns um: Überall Männer mit Kampfanzug, Schutzweste und Sonnenbrille, kurz geschorenen Köpfen, hochgeschnürten Stiefeln, Gewehren zwischen den Knien – Verkleidete, die hier ganz andere Rollen spielen als zu Hause.
Links neben mir sitzt ein älterer, erschöpfter Ingenieur aus Massachusetts, der für die Stromversorgung in den amerikanischen Einrichtungen zuständig ist. »Summer is fighting time«, sagt er mir. »Die Frühjahrsoffensive ist ausgefallen, die Taliban waren mit der Mohnernte beschäftigt. Aber der Sommer wird fürchterlich werden.«
Plötzlich fliegt die Transall durch eine Wolke voller flimmernder Sonnenreflexe, es ist eine Art Feuerwerk hoch über dem Hindukusch. Wir wurden vor dem Start darauf vorbereitet: Das sind sogenannte Flares, Täuschkörper aus Magnesium und Staniol, die von unserer Maschine stammen. Sie sind dazu da, feindliche Lenkraketen abzulenken.
Nach etwa einer Stunde setzen wir zum Sinkflug an, was sich durch jähe Stille ankündigt: Die Propeller ersterben, das Flugzeug kippt pfeifend in die Tiefe. Warum? Der Steilflug bietet die geringste Angriffsfläche, und er kühlt die Rotoren, sodass Thermogeschütze kein Ziel finden. Es ist ein Höllensturz. Die Landung allerdings ist die weichste, die man sich vorstellen kann.
Zehn Uhr morgens. Ortszeit. Mazar-e Sharif. Das Rührei sitzt. Noch.
Ich denke darüber nach, wie jemand mit einer Flugabwehrrakete auf die Transall zielt und abdrückt.
Warum mir solche Visionen immer wieder im Kopf umherschwirren, weiß ich nicht. Vielleicht ist es die überschäumende Fantasie eines Künstlers. Im Ausmalen von Horrorszenarien bin ich ganz gut. Bei ganz normalen Inlandsflügen zum Beispiel stelle ich mir manchmal vor, wie die Maschine in der Mitte auseinanderbricht, wie ich dann durch den Sog nach draußen katapultiert werde und ins Meer falle, in dem ich dann ertrinke. Ich weiß, dass solche Visionen nur bedingt hilfreich sind, aber ich kann es nicht abstellen.
Ich schaue mich um. Die Soldaten an Bord sind guter Dinge. Sie reden und lachen. Wir setzen so sanft auf, wie Wladimir Klitschko einen Gegner zu Boden schlägt. Die erste Etappe des Tages ist geschafft. Wir sind in Mazar-e Sharif gelandet. Und wir leben noch. Ab hier wird uns ein Presseteam der Bundeswehr begleiten, und wir dürfen auch endlich die Kameras rausholen und drehen. Ich steige aus dem Flieger. Die Luft schmeckt salzig. Das liegt aber in erster Linie daran, dass mir der Schweiß von der Stirn direkt in den Mund läuft. Ich verschließe ihn mit einer Zigarette und folge den anderen.
Eine Soldatin stellt sich vor. Es ist Oberleutnant Kerstin. Sie kümmert sich um die Presse vor Ort. Für Peter Kümmel ist sie Gold wert. Sie befreit ihn von seiner fellbesetzten Winterjacke und verspricht ihm, dass er sich diese am Tag der Abreise wieder bei ihr abholen kann. Kerstin gibt uns zu trinken und weist uns eine Raucherecke zu. Da dürfen wir aber noch nicht hin. Erst müssen wir unser Gepäck von einer Palette holen, es identifizieren und auf die Palette daneben stellen. Dann sammelt Oberleutnant Kerstin unsere Pässe ein und geht damit weg. Jetzt können wir rauchen. Es ist unheimlich warm in Mazar-e Sharif. Wir rauchen eigentlich schon mehr aus unseren Hemden als aus dem Hals.
Überall um uns herum geschieht das Gleiche. Soldaten steigen aus Flugzeugen, laden ihr Gepäck um oder aus und wuseln durcheinander. Andere Soldaten wiederum bewachen das Ganze. Es sind jetzt nicht mehr ausschließlich deutsche Soldaten, die wir hier sehen, sondern ein Mix aus verschiedenen Nationen. Die Uniformen sehen alle ähnlich aus, unterscheiden sich lediglich durch die Muster. Wie bei den Zebras. Im Moment sehen für mich die Gesichter aller Uniformierten auch noch aus wie bei den Zebras.
Es ist laut. Ständig starten und landen Maschinen. Zwei Soldaten kommen auf uns zu. Beide sehen aus wie gemalt. Einer ist etwa Mitte dreißig, dicke Sonnenbrille, dicke Arme, breiter Gang und kein Muskel in seinem Gesicht, der sich rührt. Er trägt Pistole und Gewehr bei sich. Der andere sieht in seiner Kampfuniform aus wie frisch aus dem Ei gepellt. Er ist Fregattenkapitän und der für uns zuständige Presseoffizier. Für die Zeit unserer Reise ist er unser Kindermädchen. Aber warum Fregattenkapitän? Was sucht ein Kapitän in der Wüste? Vielleicht ist er hier in Afghanistan, weil sein Schiff versenkt worden ist? Im Gegensatz zu ihm finde ich diese Frage auch nicht blöd.
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