Ein besonderer Junge
dem Augenblick, als seine Arme viel Wasser verspritzend auftauchten, um mich zu umarmen und mich zu sich hinunterzuziehen. Ich brauchte alle meine Kraft, um dagegen anzukämpfen und einen noch immer lächelnden, triefenden Iannis aus dem Wasser zu heben, der es offenbar nicht nötig hatte, Luft zu holen, während ich völlig außer Atem war. Keuchend, erschöpft ließ ich mir nichts von dem Schrecken anmerken, der mich gepackt hatte, ich trocknete ihn energisch ab, rieb ihn ab und spürte dabei unter dem Handtuch, wie schmal sein Brustkorb und wie zerbrechlich seine Knochen waren.
Nun mussten wir das Tagesprogramm absolvieren, wie Helena es festgelegt hatte. Ich nahm Iannis zu Einkäufen für das Mittagessen mit. Mit abwesendem Blick schlenderte er zwischen den Regalen umher, meine Gegenwart schien ihm gleichgültig zu sein, doch wie eine Katze ließ er mich nicht aus den Augen und entfernte sich nicht wirklich von mir. Sein seltsamer, ständig schwankender Gang hatte etwas Faszinierendes, seine Arme schlugen nach allen Seiten aus wie die Flügel eines ins Netz gegangenen Vogels. Die wenigen Kunden, denen wir begegneten, konnten ihren Blick nicht von der zierlichen, schlaksigen Gestalt losreißen, die neben mir hertaumelte, die Auslagen streifte und jeden Augenblick Anlass zu der Befürchtung gab, er könnte das Gleichgewicht verlieren und im Fallen ein paar Konservenpyramiden zum Einsturz bringen.
Mittags speisten wir zu dritt. Über seinen Teller gebeugt, verteilte Iannis einen Großteil des Inhalts auf dem Tisch, trank in großen Schlucken Wasser und trällerte dabei einen seltsamen Singsang. Helena aß schweigend, ganz offensichtlichmehr mit dem Fortgang ihrer Arbeit beschäftigt als mit ihrem Sohn oder der Sorge, die Unterhaltung in Gang zu bringen. Ab und zu unterbrach sie ihre Träumerei, um ihren unergründlichen Blick über uns schweifen zu lassen, ein Blick, dem ich auszuweichen versuchte. Ich stellte fest, dass ich nur darauf wartete, mit Iannis wieder allein zu sein, der mir weniger Unbehagen bereitete als seine Mutter.
Das Wetter war ungemütlich. Himmel und Meer verschmolzen ununterscheidbar zu einer einzigen grauen Masse, der fröstelnde, sich duckende Badeort schien auf bessere Tage zu warten, doch solange der Regen sich zurückhielt, konnten wir uns vornehmen, den Nachmittag am Strand zu verbringen. Helena zog sich mit einer Tasse Kaffee in der Hand zurück, und ich schlug Iannis vor, mir auf die Mole zu folgen.
Ohne Sonnenschirme, ohne die bunten Badetücher der zahllosen Badenden kam mir der Strand riesig vor. Zum ersten Mal sah ich ihn im Herbst, und der Herbstwind, der das trockene Gras aufrichtete, ließ den Sand aussehen wie Gänsehaut. Iannis hatte es sich bereits am Wasser bequem gemacht. In der Hocke spielte er wie ein Kleinkind mit einem Eimer, den er füllte, um ihn sogleich wieder auszuleeren. Ich begriff, dass ihn diese Tätigkeit den ganzen Nachmittag über beschäftigen konnte, deshalb holte ich aus meiner Tasche das Buch, das ich mitgenommen hatte: Einmal mehr würde Rimbaud mir Gesellschaft leisten. Ab und zu hob ich die Augen und sah in die menschenleere Weite hinaus, in der es weit und breit kein Hindernis gab, das sich dem Blick zum Horizont in den Weg gestellt hätte.
Zehn Jahre zuvor gehörte ich zu der fröhlichen Kinderschar, die hier spielte und sich vergnügte. Verbunden durch regelmäßige Aufenthalte, zusammengeschweißt von Erinnerungen, die bis in ihre früheste Kindheit zurückreichten, glaubten alle, sie seien hier geboren, und teilten das Gefühl,sich seit jeher zu kennen. Ich fühlte mich nicht richtig zugehörig, und auch wenn ich bisweilen an ihren Vergnügungen teilnahm, blieb ich doch meistens Zuschauer und hatte ein Buch auf den Knien. Die Füße im Sand vergraben, betrachtete ich von Weitem, wie sie auf dem Kies um die Wette liefen, und ihre Rufe mischten sich unter die Stimmen meiner Helden auf dem Papier.
Die Saison begann, wenn die von der Feuchtigkeit aufgequollenen Fensterläden den Geruch der im Winter sich selbst überlassenen Villen ausdünsteten, eine Reihe von Fassaden, die vom Salz zernagt und von den braunen Rinnsalen des Spritzwassers gezeichnet waren. Kaum war ich aus dem Auto meiner Eltern gestiegen, rannte ich davon über die geschotterte Allee, die vom Hôtel des Flots zur Mole führte, um das Meer zu sehen und mich am Jodduft zu berauschen.
Statt mit den anderen Kindern zu spielen, betrachtete ich lieber die schwarzen
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