Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
nicht auf dem Klo gewesen, bravo, Louis! Jetzt wissen Sie auch, was Ihnen jedes Mal blüht. Sie werden sich daran gewöhnen. Sie werden sehen, bei Iannis gewöhnt man sich an alles!«
    Kein Zweifel, sie hatte darauf verzichtet, mich zu warnen, um zu testen, ob ich der Situation gewachsen war. Und aus ihrer Bemerkung schloss ich, dass ich den Beweis erbracht hatte. Ein Schatten in ihren Augen gab mir allerdings das Gefühl, dass sie nicht nur Zufriedenheit darüber empfand.
    Vor dem Abendessen erfüllte ich mein Versprechen. Ich nahm den Jungen mit in den Kräutergarten, der sich an die Veranda anschloss; ich schüttete ein wenig Sand in einenTeller und steckte die gelbe Stange und den kleinen schwarzen Zylinder hinein wie zwei Kerzen auf einen Kuchen. Ich brauchte nur noch ein Streichholz an meinen Aufbau zu halten, schon entzündete sich der Miniaturstrand mit einem durchdringenden Pfeifen. Iannis starrte anfangs wortlos auf den Teller, dann sprang er mit einem Satz zurück. Der Knall und die Funken hatten ihn so entsetzt, dass er mit einem gellenden Aufschrei in die Küche floh.
    Beim Anblick der gelben Flammen fielen mir plötzlich Bilder und Gerüche ein. Allein im Garten zurückgeblieben, fragte ich mich, welchen Geburtstag ich mit diesen seltsamen Kerzen hatte feiern wollen.

 
    Die nächsten Tage folgten dem Ablauf, den Iannis’ Mutter vorgegeben hatte. Unsere Wege beschränkten sich auf das Haus, den Lebensmittelladen und den Strand. Wenn sich ein schüchterner Sonnenstrahl durch die Wolkendecke wagte, begleitete uns Helena. An einem Haken am Eingang hatte sie den Schlüssel zur Strandkabine gefunden; ein Croquet-Spiel, Bälle und drei oder vier Liegestühle warteten dort auf die Rückkehr des Sommers. Helena saß gern auf der Schwelle, während ihr Sohn und ich den Strand auf und ab spazierten. Immer kurz davor zu fallen, tippte Iannis den Sand an und ließ unter seinen Füßen kleine Staubwölkchen aufsteigen, so dass es aussah, als schwebte er auf ihnen. Mit einem Heft auf den Knien und der Zigarette zwischen den Lippen sah uns seine Mutter zerstreut zu, dann füllte sie mit ihrer zierlichen Schrift Seiten, die sie am Abend in ihre Remington tippen würde. Um das Erlebnis zu wiederholen, hatte ich mehrfach versucht, Iannis zu bewegen, mit mir nach meinen Schätzen zu suchen, doch er wollte nicht mehr weiter bis zu dem Streifen aus Kieselsteinen undzerbrochenen Muschelschalen, auf dem die Wellen gerade verebbt waren. Der Salzstreuer war vielleicht ein zufälliger Fund gewesen, und nur meine entflammte Fantasie hatte darin eine absichtsvolle Handlung sehen wollen.
    Zu diesem Zeitpunkt verspürte ich kein Bedürfnis, meine Streifzüge mit dem Jungen über diesen festgelegten Kreis hinaus auszudehnen. In ein paar Tagen würde ich ihm sicher andere Plätze zeigen, eine Verabredung, die ich fortwährend auf den nächsten Tag verschob. Doch mir standen andere Begegnungen mit Iannis’ Sonderbarkeit bevor, die sich nicht aufschieben ließen.

 
    Im gleichförmigen Gang der Tage verlor ich jedes Zeitgefühl. Wie lange war ich schon in Horville? Ich hätte Mühe gehabt, es genau zu sagen.
    Der Nachmittag, den wir am Strand zugebracht hatten, unterschied sich durch kein besonderes Vorkommnis von den vorausgegangenen; Flauberts
Erziehung der Gefühle
auf den Knien, war ich wieder einmal Frédéric gefolgt bei seinen Bemühungen, die Liebe Marie Arnoux’ zu erringen, während Iannis im Sand spielte. Abends hatte sich Helena wie gewöhnlich mit ihrem Abendessen zurückgezogen. Kurze Zeit später hörte man im Wohnzimmer das Hämmern auf den Tasten ihrer Schreibmaschine, während ich mich um unser Abendessen kümmerte. Um Iannis in der Zwischenzeit zu beschäftigen, hatte ich Wasserfarben, einen Pinsel und Papier auf dem Tisch im Esszimmer bereitgelegt. Interessiert nahm er das Angebot an und brachte einige Striche zu Papier. Als ich durch die Küchentür einen Blick auf ihn warf, bemerkte ich von Weitem, dass sich das Papier mit bunten Zeichen füllte; froh darüber, dass er den Zeitvertreibnicht von sich gewiesen hatte, sagte ich ihm, dass ich es kaum erwarten könne, sein Werk zu betrachten. Ich wusch mir rasch die Hände, dann kehrte ich zu ihm ins Esszimmer zurück: In wenigen Sekunden hatte er das Blatt, über das er sich beugte, mit einer schwarzen Farbschicht übermalt. Jede Spur von Farbe war verschwunden, wie von einer dicken Bitumenschicht verschluckt.
    Iannis ließ sich von mir an die Hand nehmen und in

Weitere Kostenlose Bücher