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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Tangbündel, die von der Flut angespült wurden, die tiefen Wolken, die über die Wellen jagten, das Ballett der Möwen über der grauen See. Zwei Monate im Jahr richtete ich mich in dieser melancholischen Stimmung so behaglich ein, dass ich Ende des Sommers tief betrübt war, wenn meine Eltern den Kofferraum des Wagens beluden. Die Erwachsenen taten ganz weltgewandt, waren schon wieder bei ihren beruflichen Sorgen, gleichgültig gegenüber den Menschen, von denen sie Abschied nahmen, jenen Bekannten, von denen sie nichts wussten.
     
    Im Auto auf der Rückbank schwieg ich, während ich auf dem nassen Strand, im salzigen Schatten der Badekabinen jenen Teil von mir zurückließ, der in den Böen des Winters verschwinden würde.

 
    Um die Eintönigkeit seiner Umfüllaktion zu unterbrechen, schlug ich Iannis vor, mich bei einem Spaziergang entlang des Meeres zu begleiten. Er folgte mir, ohne sich von seinem Eimer zu trennen. Die See spuckte weißen Schaum auf die Kiesel und fegte in gleichmäßigen Abständen über den blassen, von Moos überzogenen Küstenstreifen.
    Wir standen vor der grauen, sich kräuselnden Wasserfläche, während Geschwader von Möwen über unseren Köpfen kreisten, den Himmel mit ihrem Klageruf füllten. Ich fand den Zauber und die Melancholie, die meine Kindheit gewiegt hatten, unbeschadet wieder. Iannis’ Augen hatten die Farbe der Wolken angenommen und betrachteten eine unerreichbare Welt weit hinter dem Horizont. Gerührt von diesem Anblick, ertappte ich mich dabei, wie ich zu meinem Begleiter sprach, beflügelt von einem Schweigen, das mich anscheinend aufforderte, meine Erinnerungen wachzurufen. Ohne mich darum zu kümmern, wie viel er davon begreifen würde, begann ich, ihm von meinen früheren Ferien hier zu erzählen. Ich beschrieb ihm Antoine, der ihm soähnelte. Ich erzählte ihm, dass mein Freund und ich in dem vom Meer zurückgeworfenen Strandgut alles auflasen, was unsere Sammlung von Kaurimuscheln bereicherte, jenen kleinen, zarten Schneckenhäusern, aus denen wir Armbänder machten. Doch das Wertvollste unter unseren Fundstücken blieb immer ein Rätsel, denn niemand in Horville konnte uns erklären, woher es kam. Freilich kannten alle, die mit diesem Küstenstreifen vertraut waren, die hier am Strand zurückgelassenen Schätze. Wenn die Ebbe kam, hatten die Kinder ihren Spaß dabei, zwischen den Algen und den leeren Muschelschalen nach diesen Relikten von der Landung der Alliierten zu suchen. Die einen, harte bernsteinfarbene Stängel, die wie getrocknete Algen aussahen, waren häufiger, die anderen, kleine tiefschwarze Röhren, die an den Enden kleine Löcher hatten, waren schwieriger ausfindig zu machen, und es war immer ein Triumph, wenn man eine dieser Geschosshülsen fand.
     
    »Lunte und Salzstreuer«, so hatte Antoine diese Fundstücke getauft, die, wenn man sie anzündete, mit dem Pfeifen eines bengalischen Feuers verbrannten. Jeden Tag wurde eine Menge dieser geheimnisvollen Gegenstände an Land gespült, und mein Freund war überzeugt, dass dieses unerschöpfliche Manna, das die Flut auf den Strand warf, im letzten Krieg als Zündstoff für die Geschosse gedient hatte, die vor mehr als einem Jahrzehnt im Meer untergegangen waren.
     
    Ob man heute noch welche finden würde? Ich schlug Iannis vor, mit mir zusammen den Teppich aus zerbrochenen Muschelschalendurchzukämmen, in der Hoffnung, eines dieser Relikte zu entdecken. Wenig später bückte er sich nicht weit entfernt von mir, um mit den Fingerspitzen zerstreut im Sand zu rühren, während er den Blick auf den Himmel richtete. Nachdem ich ein paar Meter Muschelschalen umgedreht hatte, stieß ich einen Freudenschrei aus, denn ich hatte eine Lunte entdeckt. Hart, bernsteinfarben, genau wie in meiner Erinnerung, wartete sie in einem Algennest darauf, von mir gefunden zu werden. Ich zeigte sie Iannis, der ihr keine Beachtung zu schenken schien, und kündigte ihm an, dass wir sie nach unserer Rückkehr anzünden würden.
    In meiner kindlichen Freude darüber, wie früher den Sand abzusuchen, hatte ich die Uhrzeit aus den Augen verloren, und jetzt war es Zeit, in die Villa zurückzukehren. Wir stiegen die Treppen zur Mole hinauf, Iannis klammerte sich an seinen Eimer, und ich schloss die Hand über der Lunte, die wir am Strand gefunden hatten.
    Aus dem Wohnzimmer schlug uns leise das Klappern der Remington entgegen. Helena wollte wissen, ob unser Nachmittag gut verlaufen sei, dann vertiefte sie sich wieder in ihre

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