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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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kann abstoßend sein, er macht Angst. Ich weiß, glaube ich, warum so viele junge Leute es ablehnten, sich um ihn zu kümmern, warum sie die Aufgabe für so unerträglich hielten. Sie hatten recht, Louis, erinnern Sie sich? An einem der ersten Abende nach Ihrer Ankunft, als wir unsere Eindrücke austauschten, sagten Sie mir, mein Sohn hätte Antennen für unsere geheimsten Gedanken, er sauge unsere Gefühle, unsere Ängste auf. All diese jungen Leute fürchteten sich nicht vor Iannis, sondern vor sich selbst, vor dem, was Iannis ihnen zurückwarf. Es war ihre dunkle Seite, die sie erschreckte.«
    Ich konnte ihre Worte nur unterschreiben. Jeden Tag hatte ihr Sohn mich an die Grenzen dessen gebracht, was ich aushalten kann. Und in gewisser Weise hatte seine Mutter dasselbe getan, nur auf einem gänzlich anderen Gebiet. Doch anders als meine Vorgänger hatte ich mich entschlossen, nicht davonzulaufen, und ich fühlte sogar, dass ich noch einen Schritt weiter gehen musste.
    Leise entfernte ich mich, um in mein Zimmer zu gehen. An diesem Abend sowie an den folgenden unternahm Helena nichts, um mich zurückzuhalten.

 
    Mehrere Tage hintereinander erschien sie nicht zum Frühstück. Eingeschlossen in ihrem Schlafzimmer ließ sie mich einen Teil des Vormittags mit Iannis allein und zeigte sich erst, wenn wir uns für den Spaziergang fertig machten. Ihre geschwollenen Augen ließen erahnen, wie schrecklich ihre Nächte waren. Sie schloss ihren Sohn in die Arme, und er ließ sich ohne Weiteres drücken, während seine Augen über der Schulter seiner Mutter einen fernen Horizont fixierten.
    Der Wind trieb seine Wolkenherde übers Meer, die Fahnen auf der Mole knatterten an der Spitze ihrer Masten. Mit einem Schal um den Hals und in dicke Pullover gehüllt durchmaßen Iannis und ich den Kiesstrand. Wir wanderten Seite an Seite wie zwei schweigsame Freunde, die sich wortlos verstehen. Der Seewind zerzauste das Haar meines Gefährten und ließ seinen Schal fliegen, so dass er aussah wie ein verfemter Dichter. Ich konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass meine Tätigkeit bald enden würde. Helenas Worte hallten in mir wider, und ich stellte mir vor, wie Iannisin einem unpersönlichen Schlafsaal zitternd auf seinem Bett saß, hell entsetzt von den Schreien und dem Stöhnen der anderen Insassen jener belgischen Einrichtung. Das Bild zog mir das Herz zusammen, und ich bemühte mich um Ablenkung, indem ich mit den Augen dem Flug einer Möwe folgte, die auf den Windböen surfte.
    Plötzlich hob sich in der Ferne Helenas Gestalt vor dem weißen Himmel ab, und sie winkte uns zu, während sie die Treppe von der Mole herabstieg. Sie öffnete die Strandkabine und setzte sich auf die Schwelle, wie sie es immer tat. Nachdenklich an ihrem Stift kauend, warf sie hin und wieder Notizen auf die Seiten ihres Hefts. Als es Zeit für das Mittagessen war, gab sie ein Zeichen zum Aufbruch, und wir kehrten vom Strand zurück. Sie ging ohne Eile voraus, und ich sah ihren geraden Rücken, ihr von der Spange zusammengehaltenes Haar, ihren entblößten Nacken, ihre verkrampften Schultern. Nicht ein einziges Mal drehte sie sich um, um sich zu vergewissern, dass wir ihr folgten.
    Ich sah mich wieder die verzweifelte Mutter, das kleine, in Tränen aufgelöste Mädchen im Arm halten. Doch im selben Augenblick, als sie die Treppe zur Mole hinaufstieg, fand Helena zu ihrem üblichen Verhalten zurück. Sie ging weiter, ohne sich darum zu kümmern, ob ich ihren Sohn aus dem Blick verlor, ob Iannis nicht irgendeinen anderen Weg einschlug. Sie führte ihre kleine Truppe und hatte es nicht nötig, sich zu vergewissern.
    Sie wusste allerdings nicht, was an diesem Morgen am Strand in mir vorging, als ich sie so über ihre Arbeit gebeugt dasitzen sah: Wie vom Wind davongetragen war meine Angstverschwunden, und ich hatte beschlossen, dass die Komödie der Verweigerungen, die immer unerträglicher wurde, ein Ende finden sollte.

III

 
    Was wir für eine neue Erkenntnis halten, haben
    wir schon immer gewusst. Man vergisst
    nichts, weder den Augenblick der Mutlosigkeit
    noch das hinter vorgehaltener Hand geflüsterte
    Wort oder die flüchtig wahrgenommene
    Blässe eines Stücks Haut. Jene wenigen
    Silben haben wir nie aus unserem Gedächtnis
    gestrichen, jene Geste, die wir bereuten,
    haben wir in unserem tiefsten Inneren bewahrt:
    Von diesem blinden Teil, der lebendig
    und beharrlich ist, hängen wir ab, er entscheidet
    über unser Schicksal.

 
    Sie weiß noch

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