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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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dunkelblauen Schürze, das Messer, das aufblitzte, wenn Licht darauf fiel. Und sie hörte erst jetzt die unterdrückten Seufzer ihrer Mutter, die sie am Morgen gar nicht wahrgenommen hatte.
    Als sie in Kiel ankamen, nieselte es, der Regen war so fein, dass er sich anfühlte wie aus einem Zerstäuber, so fein, dass man das Gefühl hatte, gar nicht nass zu werden. Vor der Fähre trafen sie die Berlinerinnen aus Ahrensdorf und andere Mädchen und Jungen aus anderen Hachscharot. Fünfundzwanzig Jugendliche waren sie schließlich, und bis auf einen rothaarigen Jungen, der sogar noch kleiner war als Hannelore, waren alle deutlich älter als sie, einige sahen bereits erwachsen aus. Doch Mira sagte: »Sie sind alle unter achtzehn, das war die Bedingung.«
    Ein Mann und eine junge Frau stellten sich als Moritz und Schula vor, ihre neuen Madrichim. Moritz war blass und dünn und trug eine Brille, eine Enttäuschung nach dem schönen Joschka. Schula hatte schmale Schultern und einen schmalen Oberkörper, der aber in überraschend ausladende Hüften überging. Eine Figur wie eine Birne, dachte Hannelore, aber sie sagte nichts und lachte auch nicht, als Bella ihr zuflüsterte: »Guck doch, was für ein Hintern! Wie ein Brauereigaul.«
    Schula hatte ein strenges Gesicht und eine tiefe Stimme. Die sichtlich erleichterte Mira übergab ihr mit den Papieren und den Fahrkarten auch die Verantwortung, und als sie sich Hannelore zuwandte, lächelte sie und zeigte wieder die gleiche herablassende Freundlichkeit wie früher.
    Hannelore achtete nicht auf sie, ihr Blick war auf das Wasser gerichtet, das zwischen Lagerhäusern und Holzbaracken auftauchte. Sie wartete darauf, endlich das Meer zu sehen, die endlosen Weiten und die unergründlichen Tiefen, die sie aus der Kleinen Meernixe kannte. Nun darf man aber nicht meinen, dort unten sei nichts als nackter, weißer Sandboden. Nein, dort wachsen die wundersamsten Bäume und Pflanzen, die haben so schmiegsame Stängel und Blätter, dass sie sich bei der leisesten Bewegung des Wassers rühren und regen, als ob sie lebendig wären. Alle Fische, kleine und große, huschen zwischen den Zweigen im Wasser hin und her, wie bei uns hier oben die Vögel durch die Luft fliegen.
    Aufgeregt bestieg Hannelore mit den anderen die Fähre, und als das Schiff sich endlich vom Festland gelöst hatte, stand sie auf dem schwankenden Deck, allein unter all den Menschen, hielt sich an der Reling fest und betrachtete verwundert die endlose Wasserfläche, die Möwen, die um das Schiff flogen, als wollten sie es verabschieden, und wie Akrobaten dicht über das Wasser schossen und kreischend wieder aufstiegen. Sie hörte, wie die Wellen an den Bug klatschten, atmete tief die Luft ein, die nach Salz und Fisch schmeckte, und spürte verwundert die seltsame Anziehungskraft, die von dieser grauen, schaumigen Wasseroberfläche ausging.
    Das Meer war nicht so blau wie die schönste Kornblume und so durchsichtig wie das reinste Glas, sondern es glich eher einer riesigen Wanne mit schmutzigem Putzwasser, an das auch die bräunlichen Schaumkronen erinnerten. In der Ferne wurde das Meer immer grauer und ging ohne erkennbare Horizontlinie in die ebenfalls grauen Wolken über.
    Hannelore drehte sich um und schaute zurück. Sie hatten Deutschland schon weit hinter sich gelassen. Die Küste war nur noch ein schwarzer, lang gestreckter Streifen, ein gezackter Scherenschnitt aus schwarzem Papier, den jemand auf einen nebelgrauen Hintergrund geklebt hatte.
    »Auch wenn wir nicht nach Palästina fahren«, sagte Mira neben ihr, »die Nazis sind wir jedenfalls los.«
    »Gott sei Dank«, sagte Rachel.

Drittes Kapitel
    A ls sie in Dänemark ankamen, hatte der Nieselregen aufgehört, dafür empfing sie ein kräftiger Wind, der Hannelore, als sie über die Laufplanke zum Festland schritt, unter den Rock fuhr und ihn aufblähte. Erschrocken drückte sie ihn mit beiden Händen an die Oberschenkel und warf einen Blick zu den anderen Mädchen hinüber, die bereits am Pier standen und sich nun ebenfalls die Röcke festhielten. Und weil sie lachten, lachte Hannelore auch.
    Schula führte die Gruppe zu ein paar Bänken, während Moritz mit ihren Papieren in einem niedrigen Gebäude verschwand. Der Wind blies die Wolken auseinander, dahinter tauchte zerfetztes Blau auf und ein paar Sonnenstrahlen drängten sich hervor.
    »Dänemark begrüßt uns mit Sonne«, sagte Rosa und stimmte mit ihrer klaren Stimme, von der Hella einmal gesagt hatte, so einen

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