Ein delikater Liebesbrief
in dem er sie still ansah. »Bist du bereit, Henrietta?«, fragte er schließlich.
Sie nickte stumm.
»Bist du sicher, dass du mich gleich nach der Trauung nach London begleiten willst? Ich muss dringend nach Hause, aber ich möchte dich nicht deiner Familie entreißen.«
»Aber das macht doch nichts.« Henrietta hegte die heimliche Sehnsucht, auf eine dieser neumodischen Hochzeitsreisen zu gehen, von denen ihre Schwester erzählt hatte. Doch so ein Paar waren sie nicht, und überdies hatte sie beschlossen, die Mädchen nicht allein zu lassen, bevor ein verlässliches Kindermädchen gefunden war.
»Ich hätte nie gedacht, dass du dir eine Zofe mit deiner Schwester teilst«, bemerkte Darby mit gehobener Braue.
Henrietta verkniff sich ein Lächeln. Darby würde natürlich nie einen Kammerdiener mit einem anderen Mann teilen, so wie sie Crace mit ihrer Schwester geteilt hatte.
»Ich hatte nämlich überlegt, dass deine Zofe mit den Kindern reisen könnte, da wir immer noch kein Kindermädchen haben«, fuhr Darby fort. »Dann werde ich eben Lady Holkham bitten, uns einen …«
» Ich werde mit Josie und Anabel reisen«, fiel ihm Henrietta ins Wort. »Es besteht überhaupt kein Anlass, einen Bediensteten meiner Stiefmutter auszuleihen.«
»Ich weiß, dass du dich für die beiden aufopfern würdest, Henrietta, und ich rechne es dir hoch an. Doch wenn man derart beengt reist, sorgen Anabels Magenprobleme schon bald für eine verpestete Luft. Außerdem fürchte ich, dass das Reisen sich nicht gerade positiv auf Josies Temperament auswirkt.«
Henrietta hob entschlossen das Kinn. »Es sind meine Kinder.«
In diesem Augenblick gesellte sich Darbys ruppiger Freund zu ihnen. Henrietta knickste höflich. »Guten Morgen, Lord Godwin.«
»Morgen«, brummte der und nahm Darby beiseite. Henrietta hörte ihn vernehmlich sagen: »Es ist noch nicht zu spät, um …«
Die Erleichterung, die sie bei Darbys Lachen verspürte, war geradezu erschreckend.
Die kleine Kapelle füllte sich zusehends, obwohl Millicent darauf bestanden hatte, dass niemand eingeladen wurde. Esmes Kinderfrau saß in der ersten Reihe, flankiert von den beiden Mädchen. Lady Holkham saß mit Imogen auf der benachbarten Kirchenbank. Helene und ihr Ehemann Lord Godwin hatten natürlich weit voneinander entfernte Plätze gewählt. Mr Fetcham nickte Henrietta zu, und sie begab sich gehorsam in die seitliche Krypta, in der sie warten sollte, bis sie geholt wurde.
Henrietta lehnte sich an die kalte Wand und versuchte, nicht an das zu denken, was vor ihr lag. Die Krypta war mit einer Statue ihres Bewohners geschmückt, der auf dem Rücken lag und in einer Gebetsgeste die Hände gen Himmel streckte. In der Krypta war es bitterkalt. Allmählich drang die feuchte Kälte in Henriettas Knochen, bis sie so steif war wie die Statue.
Schließlich wurde die Tür aufgestoßen und Lord Godwin erschien auf der Schwelle, um sie zum Altar zu geleiten.
»Rees ist mein bester Freund«, hatte Darby gesagt. »Da dein Vater tot ist, habe ich ihn gebeten, dein Brautführer zu sein.«
Henrietta kam der Gedanke, dass Lord Godwin nun vielleicht ihr einflüstern würde, dass es noch nicht zu spät sei … Doch er hielt ihr lediglich seinen Arm hin.
Alle Anwesenden erhoben sich, als sie durch den langen Mittelgang schritt. Die Kälte hatte ihren Teil dazu beigetragen, dass Henriettas Hinken nun deutlich sichtbar war. Warum hatte sie nicht vorher an den Gang zum Altar gedacht? Sie konnte sich glücklich schätzen, wenn Darby nicht sofort die Flucht ergriff angesichts einer Frau, die gleichsam zum Altar torkelte , statt jene Anmut und Würde zu zeigen, die im wichtigsten Moment eines Frauenlebens angebracht war.
Mr Fetcham sah ganz vergnügt aus. Es schien ihn nicht zu stören, dass er die Trauung zweier Sünder zelebrieren musste, wofür er sie und Darby zweifelsohne hielt. »Wir haben uns hier versammelt, um diesen Mann und diese Frau im heiligen Stand der Ehe zu vereinen.«
Henrietta konnte nur hoffen, dass ihre Familie von der Zeremonie überhaupt etwas mitbekam, da Josie unaufhörlich laut flüsterte. Henrietta verlagerte ihr Gewicht und fragte sich, wann ihr Bein unter der Last zusammenbrechen würde.
Der Vikar sprach gerade darüber, dass die Ehe nicht dazu geschaffen sei, die fleischlichen Begierden der Menschen zu stillen wie jene der unvernünftigen Tiere. Henrietta begriff sofort, warum gerade diese Zeilen bei der Trauung zitiert werden mussten. Ihren künftigen Ehemann
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