Ein delikater Liebesbrief
gefunden.«
Darbys Gedanken schweiften ab. Der alte Wirrkopf würde Henrietta als Patientin nehmen und schien genug Erfahrung zu besitzen, um zu wissen, wovon er redete. Seltsamerweise fühlte Darby sich in guten Händen. Er glaubte fest, dass der Arzt nicht zulassen würde, dass Henrietta ein Leid geschähe, und zwar aus dem einfachen Grunde, dass der Tod einer Patientin seinen Ruf schädigen würde.
»Wenn ich also«, schloss Ortolon, »Ihre Niederkunft überwache, Lady Henrietta, wird Ihnen keinerlei Schaden entstehen und dem Stammhalter der Darbys ebenso wenig.« Er strahlte sie derart selbstzufrieden an, dass Darby fast Beifall geklatscht hätte.
Henriettas Augen waren auf Ortolons Gesicht geheftet, als wäre er das Orakel von Delphi. Darby vermutete, dass Bartholomew Batt und seine Richtlinien und Anweisungen soeben vom Podest gestoßen und stattdessen Jeremy Ortolon und seine Behandlung schwangerer Frauen daraufgestellt worden waren. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er wollte nicht unbedingt Vater werden, aber Henrietta sehnte sich so schmerzlich nach einem Kind, und da er ein liebeskranker Narr war, wollte er, dass seine Henrietta glücklich wurde.
Sieben Monate später war Darby nicht mehr so zuversichtlich. Während sich die vollkommen ereignislose Schwangerschaft ihrem Ende näherte, wurde er sich einer zunehmenden Unruhe bewusst. Dafür gab es jedoch keinen eindeutigen Grund. Ortolons tägliche Verkündigungen über den Zustand seiner Frau waren wichtigtuerisch, aber positiv. Das Baby hatte die richtige Geburtslage und der Arzt erwartete keine Komplikationen.
Jeden Moment konnte das Kind zur Welt kommen – falls Darby sich nicht etwas einfallen ließ, um es aufzuhalten. Genauer gesagt: Darby hatte zu spät erkannt, dass er die schlimmste Entscheidung seines Lebens mitgetragen hatte. Er hätte niemals auf Ortolon hören dürfen. Er hätte Henrietta anflehen sollen, die blaue Flasche auszutrinken. Vielleicht hätte er nie nach Limpley Stoke reisen dürfen. Zwar war die Vorstellung, Henrietta nie kennengelernt zu haben, niederschmetternd, doch die Möglichkeit, dass sie die Geburt nicht überlebte, erschien ihm unerträglich.
Unruhe war auch nicht das richtige Wort. Er fühlte weniger Unruhe als vielmehr Angst: eine üble, widerwärtige, hässliche Angst. Ein Gefühl, das einem Gentleman eigentlich fremd sein sollte. Es war ihm überaus peinlich, nachts schweißgebadet aufzuwachen, mit einem erstickten Schrei auf den Lippen.
Darby hätte am liebsten die Zeit zurückgedreht. Immer wieder träumte er, wie er Blumen auf ein Grab legte, und einmal zu seinem Entsetzen sogar auf zwei Gräber, ein großes und ein kleines. Im Schlaf erlebte er wieder und wieder den Augenblick, als Henrietta ihm eröffnete, dass sie ein Kind erwartete. Einmal träumte er, dass sie sorglos lachte und ihn beruhigte, es sei nur ein Scherz gewesen. Da hatte er vor Erleichterung fast geweint.
Er begann, seine Frau so genau zu beobachten wie ein Künstler sein Motiv, strich im Korridor umher, während sie sich ankleidete, überwachte ihr Bad und gestattete ihr kaum, allein auf das Wasserklosett zu gehen. Er gab vor, stets in ihrer Nähe sein zu müssen, um ihr beim Aufstehen zu helfen und dafür zu sorgen, dass sie auf der Treppe nicht strauchelte. Sie durchschaute ihn – ach, er konnte es in ihren klaren Augen erkennen, dass sie ihn durchschaute. Doch auch sie liebte ihn, und kein Wort des Widerspruchs gegen seine übertriebene Vorsicht kam über ihre Lippen.
Als der Zeitpunkt der Geburt näherrückte, wachte Darby des Öfteren in der Nacht auf und zündete eine Kerze an, um sie im Schlaf anschauen zu können. Henrietta in guter Hoffnung war schöner, als er sich das je hätte vorstellen können. Sie strahlte mit der reinen Lieblichkeit einer Madonna. Es schien, als hätte das verzweifelte Sehnen ihrer Jugend sich in Dankbarkeit über das neue Leben verwandelt, das in ihr heranwuchs. Mit jedem Tage wurde sie heiterer und gelassener, überzeugt, dass sie keine Probleme mit den Wehen haben würde.
Darby dagegen konnte nicht länger als fünf Minuten stillsitzen. Er begann die Dienstboten anzubellen, bis die Hausmädchen nur noch mit ängstlichem Blick an ihm vorbeihuschten. Er scherte sich nicht darum. Dies könnte die letzte Woche – vielleicht gar der letzte Tag – sein, der seiner Frau zu leben vergönnt war, und niemandem außer ihm schien das bewusst zu sein.
Eines Abends schließlich fand er gar keinen
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