Ein delikater Liebesbrief
gewesen war.
Nachdem er seiner Tante noch einen Augenblick tröstend die Schulter getätschelt hatte, wanderten Darbys Gedanken zu der Frau, die Josie und Anabel gerettet hatte, zu Lady Henrietta Maclellan. Aus London war sie ihm nicht bekannt. Sicherlich hatte sie ihn binnen weniger Minuten als unter ihrer Würde abgetan. Noch nie hatte er eine so abweisende Miene auf dem Gesicht einer Frau gesehen.
Und zugleich auch noch nie ein so schönes Lächeln. Als Lady Henrietta bei ihrem Abschied gelächelt hatte, hatte sie mit einem Mal derart betörend gewirkt, dass ihm das Herz stehen geblieben war. Sie hatte auf ihn gewirkt wie ein Vogel auf der Flucht, ein scheuer zarter Vogel.
Esme richtete sich wieder auf und tupfte ihre Tränen mit einem Taschentuch ab. »Es tut mir leid«, gestand sie unter Schluckauf. »Ich fürchte, ich bin in letzter Zeit schrecklich gefühlsbetont, und ich vermisse Miles wirklich. Es ist alles so … so …«
»Ich verstehe Sie vollkommen«, beeilte sich Darby zu sagen, denn die blauen Augen füllten sich bereits wieder mit Tränen. »Soll ich Ihre Zofe rufen? Ich fürchte, Ihre Gäste beginnen sich bereits zu fragen, wo Sie abgeblieben sind.«
Esme blinzelte verwirrt. »Oje. Ein wenig Reispuder könnte wohl nicht schaden. Ich verbringe einen Gutteil meiner Zeit damit, die Hinweise auf meinen derangierten Seelenzustand zu vertuschen. Davon machen Sie sich keine Vorstellung!«
Einen Moment sahen sie einander schweigend an, der untadelig gekleidete Gentleman mit der feuchten Schulter und die zerzauste, hochschwangere Dame mit den geröteten Augen – dann brachen sie in Gelächter aus.
»Wenn Ihre Frau eines Tages so anschwillt, dann werden Sie erleben, wie weinerlich ein Weib werden kann.«
»Ich sehe dieser Zeit mit angehaltenem Atem entgegen«, sagte er feierlich und küsste ihr die Fingerspitzen.
8
Im Rosensalon wird ein leichtes Abendessen serviert
Sorgsam einen Fuß vor den anderen setzend schaffte es Henrietta ohne zu humpeln in den Rosensalon, wo ein leichter Imbiss serviert wurde. Die anmutig gewölbten Bogenfenster des rechteckigen Salons gingen auf einen Wintergarten hinaus, sodass der angrenzende Raum als schicklicher Ort für Liebespaare galt, die eine Weile für sich sein wollten.
Lady Rawlings hatte im Salon in zwangloser Ordnung Tische platzieren lassen und auf einer Kredenz an der Rückwand standen Tabletts mit Delikatessen. Henrietta gesellte sich zu ihrer Stiefmutter und deren Busenfreundin Lady Winifred Thompson.
Als Mr Darby endlich erschien, hielten für einen kurzen Moment alle in ihren Gesprächen inne. War er schon am Nachmittag in der Hirschkuh elegant gekleidet gewesen, so musste seine Abendgarderobe als geradezu umwerfend bezeichnet werden. Er trug einen Anzug aus dunkelrotem Samt und dazu ein kompliziert gebundenes Spitzenhalstuch und Spitzenmanschetten, die seine Hände halb bedeckten. In Henriettas Augen wirkte seine Aufmachung schrecklich teuer.
»Oh, du meine Güte«, flüsterte Lady Winifred mit versagender Stimme. »Ich entsinne mich, dass mein seliger Vater Spitzenmanschetten zu tragen pflegte, die an das Hemd geknöpft wurden. Heutzutage sieht man so etwas gar nicht mehr. Man sollte meinen, es wirkte altmodisch, aber das stimmt ja gar nicht, nicht wahr? Mein Mann würde es wohl weibisch finden.« Sie kicherte. »Aber meinem Gemahl entgeht so einiges .«
Henrietta pflichtete ihr insgeheim bei. Mr Darby wirkte alles andere als weibisch. Seit Jahren hieß sie die frischgebackenen Debütantinnen nach der Saison im Dorfe willkommen. Diese Mädchen mochten zwar schon verlobt sein, schwärmten aber dennoch in den höchsten Tönen von den Londoner Dandys, die im Vergleich zu den Hinterwäldlern von Wiltshire so blendend gekleidet und so eindrucksvoll im Auftreten waren. Henrietta hatte stets gedacht, diese Erzählungen wären übertrieben.
Vor ihrem geistigen Auge hatte sie geckenhafte weichliche Männer gesehen, die auf hohen Absätzen über das Londoner Straßenpflaster stöckelten. Doch nichts konnte der Wahrheit ferner sein. Nie hätte sie vermutet, dass es auf der Welt solche Männer geben könnte: Mr Darbys Haar glänzte im Kerzenschein, seine hohen Wangenknochen waren feiner als die ihren. Zudem bewegte er sich mit einer lässigen Eleganz, die von gebändigter Kraft zeugte, von Männlichkeit.
Mr Darbys Kleider waren offenkundig in London geschneidert worden, doch er trug sie so gelassen, als wäre dies etwas Alltägliches. Auch war er gewiss
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